Interview

Interview über den Alltag in der Grünen Zone "Künstliche Kleinstadt mit Sicherheitslücken"

Stand: 12.04.2007 16:07 Uhr

Auf rund zehn Quadratkilometern erstreckt sich entlang des Tigris die Grüne Zone Bagdads. Sie galt bislang als der einzig sichere Ort in der irakischen Hauptstadt. tagesschau.de sprach mit dem Journalisten Marc Thörner über das Leben in der Grünen Zone.

tagesschau.de: Wer lebt und arbeitet in der Grünen Zone?

Marc Thörner: Die Grüne Zone ist eine Stadt in der Stadt, es befinden sich dort die US-Botschaft, das irakische Parlament, Ministerien, Verwaltungsgebäude, Wohngebäude, die Palastanlagen des gestürzten Regimes, Villen und ein eigenes Radio. Natürlich sind US-Militärs in der Zone, aber auch viele US-Berater, die Angestellten der irakischen Ministerien und es leben viele gefährdete Personen dort. Der Richter, der das Todesurteil gegen Saddam Hussein unterschrieben hat, wohnt dort – jeder andere Ort wäre viel zu gefährlich für ihn. Jeder, der eine herausgehobene Stellung in der Verwaltung hat, wohnt dort mit seiner Familie. Und natürlich halten sich dort sehr viele irakische und ausländische Journalisten auf. Außerdem gibt es sehr viele Grünanlagen - daher auch der Name. Es herrscht gewissermaßen eine künstliche Kleinstadt-Atmosphäre, weil man sich in dieser Stadt relativ sicher fühlen kann.

tagesschau.de: Wie ist die Grüne Zone gesichert?

Thörner: Sie ist mehrfach gesichert. Der äußere Gürtel wird recht martialisch von der US-Armee mit Panzern geschützt, Straßenschilder warnen „Weiterfahren – oder es wird geschossen“. Die Straßen und Verbindungswege innerhalb der Zone werden durch Kontrollpunkte gesichert, an denen Mitarbeiter eines peruanischen Sicherheitsdienstes stehen oder schiitische Polizisten. Das war für mich immer eine Schwachstelle, denn Teile des schiitischen Wachpersonals werden zwangsläufig in Verbindung mit schiitischen Milizen stehen.

Lückenhafte Kontrollen

tagesschau.de: Wer hat Zugang zur Grünen Zone?

Thörner: Man braucht einen speziellen Ausweis, um die Grüne Zone zu gelangen. Dieser „Badge“ ist aber relativ leicht zu fälschen. Die entscheidende Hürde sind die US-Kontrollen am Haupteingang. Innerhalb der Grüne Zone sind die Kontrollen an den Checkpoints oft erstaunlich lasch und lückenhaft. Und an den Nebeneingängen stand einige Zeit lang irakisches Militär, das auch nicht so streng kontrolliert hat.

Zur Person

Marc Thörner ist freier Journalist und berichtet regelmäßig für die ARD und andere deutschsprachige Medien aus dem Irak. Zuletzt war er Anfang 2007 im Land und dort auch in der Grünen Zone. Im Lamuv-Verlag erschien von ihm: "Von Saddam City zu Sadr City - die irakischen Schiiten"

tagesschau.de: Es bereits mehrere Versuche gegeben, die Grüne Zone anzugreifen. Ist sie ein leichtes Ziel für Attacken von außerhalb?

Thörner: Ja. Die Betonmauer um sie herum ist zwar fünf Meter hoch und gut gesichert, aber die Angriffe erfolgen ja mit Mörsern. Die Angreifer sind sehr beweglich. Es hat schon Angriffe von Rebellen gegeben, die die Mörser nur mit Eseln transportiert haben und dann schnell verschwunden waren. Gegen solche Attacken kann man schwer etwas unternehmen. Auch die US-Soldaten räumen ein, dass sie sich nicht gegen Mörserbeschuss schützen können. Allein die Größe und Weitläufigkeit der Zone bieten einen gewissen Schutz. Deshalb ist bislang nie ein wichtiges Gebäude getroffen worden.

tagesschau.de: Hat ein erfolgreicher Anschlag auf die Grüne Zone eine Signalwirkung?

Thörner: Das ist eine unglaubliche Demütigung für die US-Militärs. Sie haben in diesen Wochen eine breite Offensive gegen die Rebellen gestartet und sie als größten und wohl endgültigen Versuch bezeichnet, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Wenn in dieser Situation ein solcher Anschlag gelingt, hat das eine hohe symbolische Bedeutung - für die Iraker und für die US-Soldaten. Das wird die Moral niederdrücken, weil es deutlich macht, dass nicht einmal die Grüne Zone Sicherheit bietet.

Provokation und Verkehrshindernis

tagesschau.de: Wie sehen die Bewohner Bagdads auf die Grüne Zone?

Thörner: Für die unmittelbaren Anrainer in der Haifa-Street ist die Grüne Zone ein Symbol der Besatzung. Die Sympathisanten der schiitischen Regierung betrachten die Grüne Zone dagegen als eine Art Zukunftsmodell und verbinden Hoffnungen mit ihr. Für die Gegner ist die Zone eine Provokation. Und im Alltag ist sie ein massives Verkehrshindernis. Man hat im Umkreis die Straßen erheblich umgebaut, Barrieren errichtet, die man nur im Slalom umfahren kann, ganze Straßen mit hohen Mauern eingefasst. Dadurch kommt es zu stundenlangen Staus um die Zone.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de