ARD-Korrespondent Sinnhuber berichtet Der ferne Feind im Vorgarten

Stand: 30.08.2007 12:45 Uhr

Der mögliche Angriff der USA auf den Irak belastet auch den Nahost-Friedensprozess. In Israel ist man sich sicher, in diesem Fall von einem irakischen Angriff nicht verschont zu bleiben und rüstet zum Krieg. Eine israelische Beteiligung an der Offensive aber ließe den Nahost-Konflikt völlig eskalieren. Ein Bericht von ARD-Korrespondent Dieter Sinnhuber.

Ein oberflächlicher Blick auf die Landkarte des Nahen Ostens vermittelt eigentlich zunächst ein eher beruhigendes Bild: Zwischen Israel und den Erzrivalen, Saddam Husseins Irak, schiebt sich wie ein Keil die größte West-Ost-Ausdehnung des Nachbarn Jordanien. Und mit dem kleinen Königreich hat der Judenstaat vor acht Jahren einen Friedensvertrag geschlossen.

Aber schon der Golfkrieg vor elf Jahren hat gezeigt, dass im Zeitalter der Raketentechnik auch eine Distanz von hunderten von Kilometern nicht vor Angriffen schützt. Noch heute liegen aus jener Zeit in manchen Vorgärten Tel Avivs Teile der Scud-Raketen herum, die der schnauzige Diktator damals gegen den zionistischen Feind abschießen ließ.

Vorbereitungen auf den Krieg

So werden gegenwärtig in Israels Planungsstäben, Denkfabriken, bei Militärs und Politikern Szenarien entwickelt, was im Falle eines US-Angriffs auf den Irak geschehen könnte. Eines der optimistischen war kürzlich in der Tageszeitung "Haaretz" zu lesen: Eine erfolgreiche Operation der Amerikaner würde zu einem prowestlichen Regime in Bagdad führen und zugleich die arabischen Staaten sowie mit ihnen auch die Palästinenser schwächen.

Aber das ist allenfalls Zukunftsmusik. Israels Regierung rechnet fest damit, dass die Iraker im Angriffsfall Raketen schicken werden. Schon vor Wochen hat Ministerpräsident Ariel Scharon erklären lassen, diesmal werde sich sein Land, anders als im Golfkrieg, nicht in Zurückhaltung üben und zurückschlagen. So wurden auch schon Raketenstellungen in der Wüste nahe dem israelischen Atomreaktor Dimona und in der Mitte des Landes installiert. Und Scharon hat mit Genugtuung die Zusicherung zur Kenntnis genommen, dass die Amerikaner, auch im Interesse Israels, gleich zu Beginn die irakischen Raketenstellungen ausschalten wollen. 

Da man in Israel diesmal auch mit dem Einsatz biologischer oder chemischer Waffen auf der irakischen Seite rechnet, wurde beim Personal des Gesundheitswesens mit einer großen Impfaktion begonnen. Zudem ist eben erst mit Genugtuung gemeldet worden, dass sich bereits 1,1 Millionen Israelis mit neuen Gasmasken ausgerüstet haben.

Irak unterstützt palästinensische Selbstmordanschläge

Aber es ist nicht nur dieses Arsenal an Bedrohung, das in Jerusalem Kopfschmerzen bereitet: Seit Jahren schon pumpt Saddam Hussein Millionen-Dollar-Beträge in die palästinensischen Gebiete. Darunter eine besondere Art "humanitärer Hilfe": Die Familien "erfolgreicher" Selbstmordattentäter werden mit bis zu 25.000 Dollar unterstützt, solche von im "Befreiungskampf" Gefallener mit 10.000, und auch die Angehörigen Verwundeter gehen häufig nicht leer aus.

Kein Wunder also, dass bei Demonstrationen im Westjordanland und im Gazastreifen nicht selten Saddam-Porträts durch die Straßen getragen werden. Und das, obwohl die Palästinenser nach dem Golfkrieg für Arafats verbale Unterstützung für Saddam Hussein hart bestraft wurden, zum Beispiel durch die umgehende Ausweisung zehntausender Arbeiter aus Kuwait.

Sie werden auch diesmal wieder, so steht zu befürchten, auf der Verlierer-Seite stehen, wenn nicht bald ein Ausgleich mit den Israelis zustande kommt. Doch daran glaubt zur Zeit niemand.

11. September weckt Furcht vor "Mega-Attacke"

Der 11. September hat den Israelis, die insbesondere in den letzten zwei Jahren wieder den Terror fast alltäglich erleben, eine andere Dimension klargemacht. Die Skyline von Tel Aviv ist zunehmend durch Wolkenkratzer gekennzeichnet, und schon mehrfach wurden Attentate auf solche Hochhäuser angeblich vereitelt oder aufgedeckt. Die Angst vor einer sogenannten "Mega-Attacke" wurde gerade in den vergangenen Wochen wieder geschürt. Schon ein halbes Jahr vor dem furchtbaren Angriff auf das World Trade Center wurde einige Dutzend Kilometer nördlich von Tel Aviv von der Luftwaffe ein Kleinflugzeug abgeschossen, das im Libanon gestartet und an der Küste entlang Richtung Tel Aviv geflogen war, dessen Pilot aber auf keinen Anruf der Flugsicherung reagiert hatte. Was er wollte, hat man niemals erfahren.

Bleibt noch das fragile Verhältnis mit den unmittelbar angrenzenden arabischen Nachbarstaaten: Ägyptens Mubarak wird nicht müde, vor einem Chaos im Nahen Osten im Falle eines US-Angriffs auf den Irak zu warnen, König Abdullah von Jordanien will es sich mit keinem seiner starken Nachbarn verderben. Aus dem Libanon heraus versetzt die militante Hisbollah dem Norden Israels laufend Nadelstiche mit Artilleriefeuer und Raketen. Und die Syrer? Sie haben das Sagen im Libanon, beherbergen die Führer einiger radikaler Palästinenser-Gruppen und versorgen die Hisbollah mit Waffen.

Ebenso das Mullah-Regime in Iran, das bis heute nicht einmal Telefongespräche mit Menschen beim "kleinen Satan" Israel toleriert, an Mittel- und Langstreckenraketen bastelt und seinerseits fürchtet, nach dem Irak auf der Angriffsliste der Amerikaner zu stehen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte...

von ARD-Korrespondent Dieter Sinnhuber