Interview

Interview mit Frankreich-Experte Frank Baasner "Sarkozy wird die Gräben zuschütten"

Stand: 07.05.2007 00:17 Uhr

Der Wahlsieg von Nicolas Sarkozy leitet ein neues Kapitel der französischen Politik ein, meint Frank Baasner. tagesschau.de sprach mit dem Direktor des Deutsch-Französischen Instituts über Sarkozys Erfolg, die künftige Politik Frankreichs und ihre Auswirkungen auf Deutschland und die EU.

Der Wahlsieg von Nicolas Sarkozy beendet die Ära Chirac und leitet ein neues Kapitel der französischen Politik ein. Prof. Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, erkennt darin vor allem positive Signale. tagesschau.de sprach mit ihm über Sarkozys Erfolg, die künftige Politik Frankreichs und ihre Auswirkungen auf Deutschland und die EU.

tagesschau.de: Nicolas Sarkozy hat das Rennen um die Präsidentschaft für sich entschieden. Was war ausschlaggebend für seinen Wahlsieg?

Frank Baasner: Die Franzosen haben einen Präsidenten gesucht, der in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen und zugleich Frankreich international würdig zu vertreten. Und da hatte Sarkozy schon seit längerer Zeit einen Vorsprung: Zum einen war er als Innenminister und kurzzeitig auch als Finanzminister in der Regierung, wo er Dinge bewegen konnte. Ségolène Royal hatte diese Möglichkeit nicht. Der zweite Punkt ist, dass Sarkozy in der Art, wie er sich darstellt und spricht, mehr von dem hat, was die Franzosen von einem Präsidenten erwarten. Dazu gehört auch eine gewisse Feierlichkeit, eine in sich selbst ruhende Kraft. Die hat Ségolène Royal nicht ausreichend vermitteln können.

tagesschau.de: War Frankreich noch nicht reif für eine Frau an der Spitze des Staates?

Baasner: Nein, das glaube ich nicht. Man darf nicht vergessen, dass Frankreich mit Edith Cresson eine Premierministerin schon zu einer Zeit hatte, als in Deutschland noch niemand über ein solches Thema überhaupt geredet hat. Daher glaube ich nicht, dass dieses geschlechtsspezifische Argument sehr wichtig gewesen ist. Am Anfang ja - da konnte Ségolène Royal punkten, indem sie mit ihrer Weiblichkeit spielte. Aber am Ende sind wir mit der Emanzipation erfreulicherweise so weit, dass das nicht mehr das ausschlaggebende Argument ist. Stattdessen ging es um die Frage: Welches Projekt und welche Glaubwürdigkeit wollen wir eigentlich wählen?

"Die harten Entscheidungen kommen erst später"

tagesschau.de: Stichwort Projekte - was kann Frankreich denn konkret von seinem neuen Präsidenten erwarten?

Baasner: Die harten Entscheidungen - etwa zur Rentenreform - werden erst nach den Parlamentswahlen im Juni kommen. Nicolas Sarkozy muss es schaffen, dass seine Partei UMP die Wahlen gewinnt, denn er kann nur gut und glaubwürdig regieren, wenn er einen Premierminister mit einer Parlamentsmehrheit hat. Also wird er zunächst versuchen, alle Franzosen hinter sich zu bringen, indem er bei Ankündigungen bleibt. Er wird die Gräben nicht vertiefen, sondern eher zuschütten.

tagesschau.de: Sarkozy hat die Einwanderer in den Vorstädten einst als "Gesindel" bezeichnet. Wie wird er künftig mit den sozialen Brennpunkten umgehen?

Baasner: Ihm ist völlig klar, dass die sozialen Ghettos der Vorstädte ein Riesenthema für die Republik sind. Nicht erst seit den Unruhen von 2005, sondern schon lange. Und man muss zur Ehrenrettung Frankreichs sagen, dass dort große Sanierungs- und Entwicklungsprogramme gestartet worden sind. Ich denke, da ist viel auf einen guten Weg gebracht worden. Entscheidend wird sein, wie er sich verbal verhält. Die Frage ist also: Wie spricht er in Zukunft über dieses Problem?

tagesschau.de: Und welche außenpolitischen Schwerpunkte erwarten Sie?

Baasner: Sarkozy wird erst einmal viele Antrittsbesuche machen - auch um die Medien auf seiner Seite zu haben, indem er zeigt, dass er in der Gestaltung und Verwaltung der internationalen Beziehungen souverän ist. Nach Besuchen in Deutschland und Russland wird er sehr schnell in die USA fliegen, um zu zeigen, dass zwischen ihm und den USA kein größeres Problem besteht. Und er wird signalisieren, dass er es schaffen kann, Europa aus der Sackgasse zu führen. Allerdings ohne zu sagen wie, da ihm sonst die Franzosen, die den Verfassungsvertrag abgelehnt haben, die Parlamentswahlen vermasseln werden.

EU-Verfassung: "Frankreich könnte Vorbild werden"

tagesschau.de: Was bedeutet der Sieg Sarkozys für die deutsch-französischen Beziehungen?

Baasner: Als ehemaliges Regierungsmitglied kennt Sarkozy die gesamte deutsche Politik gut. Er kennt die Menschen, die Verfahrensweisen, den Föderalismus. Seine Partei UMP hat extrem enge Beziehungen zur CDU, aber auch auf Regierungsebene und zur SPD besteht ein gutes Verhältnis. Daher meine ich, dass es keinen Grund zur Sorge um die Beziehungen unserer Länder gibt.

tagesschau.de: Welche Auswirkungen wird das Wahlergebnis auf Europa und die Debatte um die EU-Verfassung haben?

Baasner: Sarkozy hat sich darauf festgelegt, dass er das französische Volk nicht noch einmal mit derselben Referendumsfrage behelligen wird. Damit hat er recht, denn man kann nicht nach dem Motto vorgehen: Wir lassen so lange abstimmen, bis das Ergebnis okay ist. Aber Sarkozy hat auch vorgeschlagen, Teile des Verfassungsvertrags herauszulösen und im Parlament zu verabschieden - zum Beispiel die Teile, in denen es um institutionelle Reformen geht. Damit könnte Frankreich zum Vorbild für andere EU-Länder werden - und möglicherweise können so Teile der Verfassung doch in Kraft gesetzt werden.

Das Interview führte Tim Gerrit Köhler für tagesschau.de