Hintergrund

Wurzeln des Konflikts Russisch-tschetschenische Feindschaft hat Tradition

Stand: 29.08.2007 00:43 Uhr

Russen und Tschetschenen blicken seit der Zeit von Katharina der Großen auf eine kriegerische Geschichte zurück. Die Tschetschenen erinnern sich vor allem an den Aufstand des "Löwen von Dagestan" und die Deportation des tschetschenischen Volkes nach Kasachstan.

Tschetschenien ist nicht erst im 20. Jahrhundert zu einem Konfliktgebiet geworden. Erste größere kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Russen und Tschetschenen gab es bereits im späten 18. Jahrhundert. Grund dafür waren die Bestrebungen der russischen Zarin Katharina der Großen, die Region im Nordkaukasus dem russischen Imperium einzuverleiben. Einzelne tschetschenische Clans – so genannte teips – stellten sich der russischen Expansion entgegen. Vergeblich, denn in einem sechsjährigen Krieg schlugen zaristische Truppen die Aufstände blutig nieder.

Der "Löwe von Dagestan"

Die gemeinsame Geschichte von Russen und Tschetschenen ist durch gegenseitige Vorurteile und Mythenbildung geprägt. Bei den Tschetschenen spielt vor allem der bewaffnete Kampf des Imam Schamil gegen die Russen in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine identitätsstiftende Rolle.

Imam Schamil, der so genannte "Löwe von Dagestan", war ein islamischer Gelehrter aus der benachbarten Region Dagestan am Westufer des Kaspischen Meeres. 1829 vereinte er die tschetschenischen Clans im Kampf gegen die Russen. In einem dreißigjährigen Krieg setze das Zarenreich 200.000 Soldaten, fast ein Drittel des gesamten Heeres, ein, um Schamil und seine Anhänger zu besiegen.

Die Niederlage Schamils beendete den organisierten Widerstand für mehrere Jahrzehnte. Die Gebiete der Tschetschenen blieben Teil des Russischen Imperiums und auch später der Sowjetunion. Schamil ist jedoch heutzutage für viele tschetschenische Kämpfer Held und Mythos zugleich.

Das Trauma der Deportation

Auf die von Stalin verordnete Zwangskollektivierung der Landwirtschaft reagierten die Tschetschenen in den 1930er Jahren erneut mit bewaffneter Gegenwehr. Mit Panzern und Luftangriffen schlug jedoch die Rote Armee den Widerstand nieder.

Im Februar 1944 ließ Stalin fast eine halbe Million Tschetschenen in Viehwaggons nach Kasachstan deportieren. Der Vorwurf: Die Tschetschenen hätten im Zweiten Weltkrieg mit der Deutschen Wehrmacht kollaboriert. Zehntausende Tschetschenen starben während des Transportes an Unterernährung, Krankheiten und Entkräftung. Viele weitere in der kasachischen Steppe. Erst nach dem Tod Stalins und der zaghaften Entstalinisierung unter dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow durften die Tschetschenen 1957 in ihre Heimat zurückkehren.

Viele noch lebende Tschetschenen können sich an die Deportation erinnern oder sind im kasachischen Exil geboren. Das Gedenken an die Deportation ist daher ein zentraler Aspekt der tschetschenischen Identität von heute.