Interview

Interview mit Klaus Scherer "Diplomatie geht anders"

Stand: 28.08.2007 00:47 Uhr

ARD-Korrespondent Klaus Scherer verfolgt den Streit um Nordkoreas Atomwaffen seit Jahren und gehört zu den wenigen Journalisten, die das Land bereisen konnten. tagesschau.de sprach mit ihm über die Hintergründe  des Konflikts.

tagesschau.de: Wie glaubhaft sind Behauptungen aus Pjöngjang, man sei bereit, einen nuklearen Schlagabtausch mit dem Westen zu beginnen?

Klaus Scherer: Theoretisch mag das sogar zutreffen, man sollte aber unterscheiden zwischen Nordkoreas üblicher martialischer Rhetorik und dem tatsächlichen Verhalten des Regimes. Solche Sätze dienen der Abschreckung. Kim Jong Il droht nicht aktiv mit Krieg. Wäre er derart kriegslüstern wie ihn manche effektheischende Schlagzeile im Westen der Einfachheit gern darstellt, hätte er Gelegenheiten gehabt, kleinere Auseinandersetzungen zu einem Krieg eskalieren zu lassen. Er hat dies aber nie getan.

tagesschau.de: Schiebt das Regime also das Gefühl der Bedrohung durch die USA nur vor?

Scherer: Man kann dem Regime abnehmen, dass es sich von den USA bedroht fühlt, auch wenn es damit natürlich auch Innenpolitik betreibt und von eigenen Fehlern ablenkt. Seit dem Kurswechsel durch US-Präsident Bush, der die auf Entspannung zielende Nordkorea-Politik seines Vorgängers Clinton nicht fortsetzte, ist die Furcht aber nachvollziehbar. Die Einordnung Nordkoreas in Bushs "Achse des Bösen" verstärkte dies noch, ebenso wie die neue US-Militärdoktrin des sogenannten präventiven Erstschlags.

tagesschau.de: Hat der Irak-Krieg diese Haltung möglicherweise noch verstärkt?

Scherer: Pjöngjang hat gesehen, insbesondere am Beispiel des Irak, dass es aus seiner Sicht Sinn macht, möglichst harsch auf Abschreckung zu setzen. Die Rhetorik selbst ist nicht neu, es hat diesen Tonfall immer gegeben, mal mehr, mal weniger, mal wechselhaft. Allerdings sind die Vorgaben aus Washington auch nicht widerspruchsfrei: Bush versichert zwar, er wolle Nordkorea nicht angreifen und setze auf Diplomatie, sagt aber öffentlich, dass er Kim Jong Il aufrichtig hasse. Diplomatie geht gemeinhin anders. Wie weit Nordkoreas Verweis auf Nuklearwaffen tatsächlich gedeckt ist, ist schwer auszumachen. Manches spricht dafür, dass der Norden tatsächlich über ein solches Potenzial verfügt. Sicher aber ist auch das nicht.

tagesschau.de: Aus nordkoreanischer Sicht verteidigt man sich auch gegen die imperiale Aggression durch Japan und Südkorea. Ist das die reine Selbstüberschätzung - oder ist da etwas dran?

Scherer: Dass auch Südkorea den Norden bedroht, stimmt insofern, als entlang der Grenze auf beiden Seiten Waffenarsenale stehen und Manöver an der Tagesordnung sind. Japan bedroht Nordkorea nicht. Mit "feindseliger Politik" der USA meint Nordkorea aber auch die Wirtschaftssanktionen, die Blockade von Weltbankkrediten, das Verweigern einer diplomatischen Normalisierung, die im 1994 Abkommen eigentlich auch beschlossen worden war.

tagesschau.de: Die Koreanische Halbinsel und Japan trennt nur eine schmale Meerenge. Wie nimmt Nippon den Konflikt wahr?

Scherer: Eine Bedrohung Japans und Südkoreas durch nordkoreanische Waffen gibt es seit Jahren, ohne dass deshalb jemand ernsthaft eine Schieflage beklagt hätte. Sogar dass Nordkorea eine oder zwei Atombomben haben könnte, war Teil dieses Status Quo. Die jetzige Wahrnehmung trägt der Sicht der USA Rechnung, die nach den Terroranschlägen des 11. September in Massenvernichtungswaffen, die in die Hände von Terroristen gelangen könnten, eine Bedrohung sehen. In Japan nutzen zudem rechtsnationale Kreise die Situation, um eine Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfassung zu erreichen. Das wollten sie aber auch vorher schon. Die Vorschläge reichen dann bis zu einer eigenen atomaren Bewaffnung. Beides scheint aber mehr vom Wunsch getragen, Japan möge wieder eine militärische Ordnungsmacht werden. Nordkorea ist da eher ein Anlass als eine Ursache.

tagesschau.de: Es gibt also vielerlei Interessen in diesem Konflikt – die Leidtragenden sind, wie es scheint, die Menschen in Nordkorea.

Scherer: Was die Politik des Westens moralisch unglaubwürdig macht ist, dass die geschundene Bevölkerung Nordkoreas nicht wirklich eine Rolle spielt. Wer Embargos mit dem Verweis auf das unmenschliche Regime Kim Jong Ils rechtfertigt, sollte auch dafür sorgen, dass diejenigen, die diesem Regime entkommen sind - die Hunderttausende nordkoreanischer Flüchtlinge in Nordchina beispielsweise - nach internationalem Recht geschützt werden. Statt dessen setzt Peking Kopfgeld aus und schickt die Flüchtlinge zurück in Nordkoreas Gulags. Weil Peking aber am Verhandlungstisch unverzichtbar ist, macht der Westen die Augen zu.

tagesschau.de: Angeblich haben die USA ein geringes Interesse daran, dass sich das Verhältnis zu Nordkoreas Führung entspannt. Worin könnte der Grund dafür bestehen?

Scherer: Für die Bush-Administration hat der Atomkonflikt tatsächlich den Nebeneffekt, dass Japan und Südkorea, die beide eigene Prioritäten in der Nordkoreapolitik haben, wieder näher an die Partnermacht USA gerückt sind. Dass die USA eine diplomatische Lösung nur vorgetäuscht verfolgen, halte ich für eine nicht gerechtfertigte Unterstellung. Bush und viele im Pentagon mögen einen Regimewechsel zum eigentlichen Ziel haben. Angesichts der Entwicklung im Irak und des näher rückenden Wahlkampfs kann die Bush-Administration einen diplomatischen Erfolg aber gut gebrauchen. Allein schon um zu beweisen, dass Amerika auf Konflikte auch anders reagieren kann als mit einem Einmarsch seiner Truppen.

Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de