Interview

Die arabische Welt nach dem 11. September "Die USA haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt"

Stand: 27.08.2007 09:49 Uhr

Seit dem 11. September befinden sich die USA - zumindest nach eigenem Verständnis - in einem unerbittlichen Krieg gegen den internationalen Terrorismus. Ziel ist die arabische Welt, denn die meisten der Terroristen von Al Kaida & Co stammen aus der Region. Dort allerdings verstehen viele die Absetzung der Taliban in Afghanistan, den Krieg gegen den Irak und die Nahost-Politik Washingtons als Kreuzzug gegen den Islam. Das schürt Hass - und der stärker und stärker werdende Anti-Amerikanismus treibt die Menschen den Radikalen in die Arme.

tagesschau.de sprach mit Jörg Armbruster, seit vielen Jahren ARD-Korrespondent in Kairo, über die Situation nach dem 11. September, über Chancen und Grenzen zur Demokratisierung der Region und über die Rolle der USA in der arabischen Welt.

tagesschau.de: Welche Bedeutung hat der 11. September heute für die Menschen in der arabischen Welt?

Jörg Armbruster: Der 11. September spielt heute – drei Jahre nach den Anschlägen - keine große Rolle mehr. Der Anti-Amerikanismus allerdings hat seitdem stark zugenommen. Es gibt hier so gut wie kein Verständnis für den Krieg der USA gegen den Terror.

Die Politik der Vereinigten Staaten – etwa der Sturz der Taliban in Afghanistan und der Krieg im Irak - wird häufig als Feldzug gegen den Islam und im Falle des Irak zudem als Kampf um Öl verstanden. Eine solche Sichtweise ist auf den Straßen, in den Kaffeehäusern sehr verbreitet. Allerdings gilt das in geringerem Ausmaß für Intellektuelle, politische Kommentatoren, Zeitungen oder Politiker.

tagesschau.de: Ist dieser Anti-Amerikanismus – Stichwort Islamismus - eine Gefahr für die arabischen Staaten?

Armbruster: Es besteht einerseits die Gefahr für die Staaten im Nahen Osten, dass sich Teile der Bevölkerung, insbesondere Jugendliche, radikalisieren. Einen solchen Prozess kann man in Jordanien, in Saudi-Arabien und einigen anderen Staaten beobachten.

Die islamistischen Kräfte liefern den autoritären Regimes aber zugleich einen Vorwand, jeden Ansatz zur Demokratisierung im Keim zu ersticken. Sie führen folgendes Argument ins Feld: "Wenn wir die Demokratie einführen, wenn wir Wahlen zulassen, dann gewinnen die Radikalen die Oberhand und das kann in Niemandes Sinne sein."

In ähnlicher Art und Weise wird der Nahost-Konflikt genutzt. Die arabischen Regime argumentieren stets: Bevor die Demokratie eingeführt werden könne, müsse der Nahost-Konflikt gelöst werden, weil dieser Konflikt zutiefst undemokratisch sei. Das ist zwar richtig. Gleichwohl handelt es sich bei dieser Argumentation um einen Vorwand, die eigene Macht zu sichern und Reformen hinauszuzögern. Denn ein Ende des Konflikts ist derzeit nicht abzusehen.

tagesschau.de: Wie steht es dann um die Demokratisierung der Region?

Armbruster: Viele Staaten versuchen derzeit einen schwierigen Balanceakt zu bewältigen. In Saudi-Arabien etwa stehen im Dezember Kommunalwahlen an, zugleich führt die Regierung einen Anti-Terror-Krieg. In der Praxis werden liberale Strömungen in Saudi-Arabien unterdrückt. Sobald sich dort Kritiker zu Wort melden und die Politik des Königshauses hinterfragen, werden sie zum Verstummen gebracht. Zeitungen werden geschlossen, Chefredakteure entlassen, schlimmstenfalls werden die Kritiker ins Gefängnis geworfen.

Beispiel Ägypten: Es ist neben Jordanien das Lieblingsland des Westens. Die ägyptische Regierung gibt sich nach außen relativ liberal. Wir ausländischen Journalisten zum Beispiel können hier einigermaßen ungebunden arbeiten, unterliegen keiner Zensur. Ägyptische Zeitungen werden zwar noch zensiert, aber heute längst nicht mehr so streng, wie das noch vor ein paar Jahren der Fall war.

Sobald sich aber Islamisten, in Ägypten sind dies die Muslimbrüder, zu lautstark zu Wort melden, schlägt die Geheimpolizei zu. Weil sie eine so starke politische Kraft sind, werden die Muslimbrüder bei Wahlen an der Beteiligung gehindert. Das geht soweit, dass sogar Wahllokale von der Polizei oder von Geheimdiensten abgeriegelt werden, um die Wähler fernzuhalten. Auch westliche Journalisten werden in solchen Fällen an der Arbeit gehindert. Im Inneren ist Ägypten noch immer sehr restriktiv. Gleiches gilt für andere arabische Staaten.

tagesschau.de: Stehen wir – bedenkt man die anti-amerikanische Stimmung der arabischen Welt - tatsächlich am Rande eines Kulturkampfes, wie er mitunter heraufbeschworen wird?

Armbruster: Nein. Der Kulturkampf findet vielmehr in den islamischen Gesellschaften selbst statt, weil dort viele drängende Fragen unbeantwortet sind. Etwa die Frage, wie viel Modernisierung der Islam verträgt. Mit der Antwort darauf hat der Westen nur bedingt etwas zu tun. Er ist sicherlich der Exporteur der Modernisierung, aber der Ort, an dem die Auseinandersetzung geführt werden muss, sind die arabischen Gesellschaften.

Diese Debatte allerdings findet derzeit nicht in ausreichendem Maß statt. Weil man nicht diskutiert, wie viel Modernisierung die Religion – die wesentlich für die eigene Identität ist – verträgt, kommt es zu Verunsicherung und einer Abwehrhaltung. Das kann schließlich zur Radikalisierung, möglicherweise bis zur Al Kaida, führen. Diese Verunsicherung trifft vor allem die jungen Menschen. Und die arabische Welt ist eine sehr junge Welt.

tagesschau.de: Zur Rolle der USA: Washington führt zur Rechtfertigung seiner Präsenz am Golf stets die westlichen Ideale Freiheit und Demokratie ins Feld. Wie wird das bewertet?

Armbruster: Die Werte Freiheit und Demokratie finden an sich sehr viel Zuspruch, vor allem bei jungen Leuten und Intellektuellen. Das ist allerdings nicht der Fall, wenn sie von den USA exportiert werden. Die Amerikaner haben in der arabischen Welt ihre Glaubwürdigkeit als Leitfigur verspielt. Durch den Irak-Krieg, durch die Folter-Bilder aus dem Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad und schließlich durch den ungelösten Nahost-Konflikt, in dem die USA inzwischen eine sehr einseitige Position zu Gunsten Israels einnehmen. Die USA sind inzwischen als Macht, die diesen Konflikt lösen könnte, gänzlich abgeschrieben.

Viele arabische Bobachter beschreiben die Politik der Bush-Regierung heute als einen Kreuzzug gegen den Islam. Dieses Bild ist ganz bewusst gewählt, weil die Kreuzzüge im Mittelalter das Ziel hatten, den Einfluss des Islams zurückzudrängen.

tagesschau.de: Stichwort US-Wahlkampf: Erhofft man sich von einem möglichen demokratischen Präsidenten John Kerry einen Politikwechsel?

Armbruster: In den Kaffeehäusern herrscht die Meinung vor: Der eine ist so gut oder so schlecht wie der andere. Aber in Kommentaren und Gesprächen kann man schon die Hoffnung heraushören, dass sich die Politik der USA unter einem demokratischen Präsidenten ändern könnte.

Der demokratische Ex-Präsident Bill Clinton hat schließlich zumindest sehr intensive Gespräche zwischen Jassir Arafat und dem damaligen israelischen Premier Ehud Barak initiiert. Die Verhandlungen in Camp David haben am Ende zwar zu nichts geführt, aber vergessen sind sie nicht. Insgesamt erhofft man sich von den Demokraten ein größeres Engagement als von den Republikanern. Bush etwa hat ja bereits zu Beginn seiner Amtszeit klargestellt, seine Regierung werde sich nicht in den Nahost-Konflikt einmischen.