Italiens oberster Mafia-Jäger Pietro Grasso | picture-alliance/ dpa/dpaweb

Der lange Arm der Cosa Nostra Italiens Mafia-Jäger schreckt Politiker auf

Stand: 24.10.2005 14:06 Uhr

Mit der Festnahme des seit fünf Jahren gesuchten Umberto Di Fazio ist der Polizei auf Sizilien zwar ein Schlag gegen die Cosa Nostra gelungen. Der größte Fisch geht aber seit 42 Jahren nicht ins Netz. Für Italiens Mafia-Jäger Nummer eins, Pietro Grasso, steht fest, dem Mafioso Bernardo Provenzano wird von "ganz oben" geholfen".

Jörg Seisselberg, ARD-Hörfunkstudio Rom

Er gilt als der Boss der Bosse und ist seit 42 Jahren auf der Flucht. Bernardo Provenzano aus der Mafia-Hochburg Corleone führt Italiens Polizei an der Nase herum wie kein anderer. Anfang des Jahres waren die Fahnder kurz davor, den Chef der Cosa Nostra zu schnappen. Polizisten stürmten eine Mafia-Wohnung in Palermo. Provenzano aber trafen sie nicht mehr an. Er hatte es wieder einmal geschafft, in letzter Sekunde zu flüchten.

Bernardo Provenzano: Seit mehr als 40 Jahren war der oberste Mafia-Boss auf der Flucht.

Bernardo Provenzano: Fahndungsfotos von 2005 und aus den 60er Jahren.

In Italien gibt es nicht wenige, die wegen derartiger Pannen schon länger vermuten, Provenzano müsse mächtige Helfer haben. Jetzt hat es erstmals ein prominenter Ermittler offen ausgesprochen – und damit für Riesenwirbel gesorgt.

Pietro Grasso, ab heute Italiens oberster Mafiajäger, beschuldigt Politiker und Unternehmer in einem Interview mit dem Staatssender Rai, sie würden schützend ihre Hand über Provenzano halten: "Die Mafia wird gedeckt von Politikern, von Unternehmern, auch von Polizeikräften. In unseren Ermittlungen über Provenzano sind wir auf all diese Berufskategorien gestoßen. Also, es ist nicht nur eine kriminelle Organisation, die Provenzano deckt, sondern es ist ein Schutz, der aus kompletten sozialen Schichten kommt."

Italiens oberster Mafia-Jäger Pietro Grasso | picture-alliance/ dpa/dpaweb

Italiens oberster Mafia-Jäger Pietro Grasso Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Zettelstrategie statt Telefonino

Sechsmal ist Provenzano in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Mehr als 100 Fahnder sind seit Jahren nur auf den Boss der Bosse angesetzt. Provenzano, der sich wahrscheinlich immer noch auf Sizilien aufhält, könne immer wieder entwischen, so Grasso, weil er ein breites Netz an Unterstützung habe. Aber auch, weil das „Phantom aus Corleone" konsequent auf moderne Kommunikationsmittel verzichte und seine Befehle nach wie vor auf handgeschrieben auf Zetteln gebe.

Grasso erklärt: "Das ist ein System, das antiquiert wirkt. Aber wenn er moderne Technologien benutzen würde, gelänge es uns wahrscheinlich sehr viel mehr Sachen zu entdecken. Mit den Zetteln aber sind unsere Möglichkeiten begrenzt – sie werden an Orten weitergegeben, an die wir nicht kommen ohne entdeckt zu werden. Das wird genutzt, um die Kommunikation in der Organisation Cosa Nostra abzuschotten."

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Auch in Palermo entwischte Provenzano der Polizei.

Entrüstung in Rom

Die Regierung in Rom reagierte empört auf die spektakulären Anschuldigungen gegen Politik und Wirtschaft. Wenn Grasso etwas wisse, forderte verärgert Justizminister Roberto Castelli, solle er Namen auf den Tisch legen.

Der neue oberste Mafiafahnder kontert in Zeitungsinterviews mit seinen persönlichen Erfahrungen aus der Jagd auf Provenzano. Beispielsweise sei der christdemokratische Präsident eines Kommunalrats auf Sizilien in die Fänge der Fahnder geraten, weil er Provenzano einen gefälschten Personalausweis ausgestellt hat.

Einem Carabinieri-Offizier, so Grasso, wurde nachgewiesen, dass er Ermittlungsgeheimnisse an einen bekannten sizilianischen Krankenhaus-Besitzer verriet, die dieser wiederum an Provenzano weitergeleitet haben soll.

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Carabinieri in Rom

Und ein Regionalparlamentarier der Regierungspartei Alleanza Nazionale nahm nach Darstellung eines Kronzeugen vor der letzten Wahl über Mittelsmänner Kontakt zu Provenzano auf - mit der Bitte, der oberste Mafiaboss solle für ihn Unterstützung und Stimmen in Sizilien organisieren.

Die Botschaft von Anti-Mafia-Fahnder Grasso an seine Kritiker: Dass es Verbindungen von Politik, Wirtschaft und Polizei zur Mafia gibt, habe er sich nicht ausgedacht – es ergäbe sich schlicht aus seinen Ermittlungen der vergangenen Jahre gegen den obersten Mafiachef Provenzano.