Interview

Interview mit Elmar Brok "Abschiebung löst Flüchtlingselend nicht"

Stand: 26.08.2007 05:22 Uhr

Abschottung allein helfe nicht, um das Problem der illegalen Einwanderung in die EU zu lösen, sagt Elmar Brok im Interview mit tagesschau.de. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament fordert eine weltweite Aktion gegen das Flüchtlingselend in Afrika.

tagesschau.de: Spanien hat begonnen, Flüchtlinge nach Marokko abzuschieben. Ist diese Maßnahme Ihrer Meinung nach die richtige Antwort auf das Problem?

Elmar Brok: Das ist nur eine kurzfristige Antwort, um mit den Symptomen des Problems fertig zu werden, aber es ist sicher nicht die Lösung. Denn das eigentliche Problem ist, dass ein ungeheurer Wanderungsdruck aus der Sahelzone und Schwarzafrika insgesamt besteht, der meines Erachtens noch anwachsen wird und wo Menschen bereit sind, ihr Leben zu riskieren.

tagesschau.de: Darf die EU denn kritiklos zusehen, wenn Spanien Leute nach Marokko abschiebt?

Brok: Hier müssen mit Spanien und Marokko bestehende Regeln angewandt werden. So muss auf marokkanischer Seite stärker kontrolliert werden. Das bilaterale Abkommen mit Spanien, das seit 13 Jahren besteht, aber bisher noch nie angewandt wurde, muss auch wirklich angewandt werden, was die Rücknahmeverpflichtungen angeht. Das muss auf eine vernünftige, menschenwürdige Weise geschehen. Gleichzeitig muss die EU tätig werden und endlich die zugesagten 40 Millionen Euro für entsprechende Grenzkontrollen im Rahmen des EuroMed-Prozesses zur Verfügung stellen.

tagesschau.de: Dieses Geld ist wiederum vor allem für Schutzmaßnahmen vorgesehen. Ist das eine sinnvolle Investition?

Brok: Sicherlich dient das auch nur der Bekämpfung eines Teils der Symptome. Wir müssen natürlich sehr viel stärker in den betroffenen Gebieten der Sahelzone helfen. Ohne eine vernünftige Entwicklungshilfe, ohne eine Perspektive für die Menschen dort, ohne Bekämpfung von Krankheiten, bis hin zu AIDS, wird es nicht gelingen, das Problem zu lösen. Die Menschen sind offensichtlich bereit, ein hohes Risiko für ihr Leben einzugehen, auch weil sie keine Chance für das Weiterleben in ihrer Heimat sehen. Und diese Notsituation der Menschen kann man nicht durch Grenzpfähle auffangen.

tagesschau.de: Das, was Sie ausführen, wird aber doch schon seit langer Zeit von der Politik gefordert. Geschehen ist in diese Richtung dennoch nicht genug. Ist die EU mitverantwortlich für das Flüchtlingselend an Europas Südküste?

Brok: Ich denke, man kann nicht sagen, die EU sei aktiv verantwortlich. Nicht nur die EU, sondern alle reichen Länder haben nicht in ausreichendem Umfang die Hilfen zur Verfügung gestellt, um in den entsprechenden Regionen den Menschen Zukunftsperspektiven und Hoffnung zu geben. An diesem Beispiel (dem Flüchtlingsdrama in Melilla und Ceuta; Anm. d. Red.) sieht man jetzt, dass diese Hilfen keineswegs Nächstenliebe sind, sondern dass es unser ureigenstes Interesse ist, dass solche Wanderungsbewegungen nicht entstehen.

tagesschau.de: Und warum dauert es dann solange, bis diese Hilfen geleistet werden?

Brok: Das hängt damit zusammen, dass Politik oft erst dann reagiert, wenn es brennt. Das ist eine mangelnde Fähigkeit, wirkungsvoll Prävention zu betreiben.

tagesschau.de: Dabei brennt es doch schon lange.

Brok: In den Ländern selbst schon. Aber dass die Gefahr so besteht, wird erst durch solche Wanderungsdrücke deutlich, wo wir dann aufschrecken und fragen, was da los ist. Den Insidern ist es bewusst, aber der breiten Bevölkerung leider nicht.

tagesschau.de: Aber was tut die EU denn beispielsweise in Mali oder Kamerun? Von dort kommen die meisten Flüchtlinge.

Brok: Die EU tut sehr viel. Es gibt niemand, der so viel tut, wie die EU über das AKP-Konzept durch unmittelbare Entwicklungshilfe, durch Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen. Aber das "Viel" scheint immer noch nicht genug zu sein.

tagesschau.de: Wie sollte die EU jetzt reagieren? Welche konkreten Maßnahmen müssen ergriffen werden?

Brok: Es muss meines Erachtens für diesen in manchen Bereichen sterbenden Kontinent Afrika ein großes Programm aufgestellt werden, der Europäer, der USA, der Asiaten. Ich glaube, die gesamte Weltgemeinschaft muss sich dieses Kontinents annehmen. Wenn wir sehen, dass wir Länder haben, wo 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung mit AIDS infiziert ist, wenn man sieht, wie die klimatischen Entwicklungen sind, die Tiere nichts zum Fressen und die Menschen nichts zum Trinken haben. Das sind so dramatische Entwicklungen, die entweder zum Sterben der Menschen dort führen oder zu einem Gewaltakt der Menschen, sich in bessere Gegenden zu begeben, da sie in ihrer Heimat sonst nur noch den Tod erwarten können. Deswegen ist eine große Aktion für Afrika notwendig, klassische Entwicklungspolitik reicht nicht mehr.

tagesschau.de: Ende des Jahres erst will die EU-Kommission einen so genannten Rechtsrahmen vorlegen, Asylverfahren bleiben Sache der Nationalstaaten. Glauben Sie, dass es gelingt, eine gemeinsame Antwort zu finden?

Brok: Es ist notwendig, dass wir zu gemeinsamen Maßnahmen kommen. Wir beraten zurzeit ja eine Asylrichtlinie, die ja leider im Europäischen Parlament am 28. September nicht die notwendige Mehrheit bekommen hat. Insbesondere das Konzept der sicheren Drittstaaten ist im europäischen Parlament abgelehnt worden gegen unsere Stimmen. Und nun müssen wir sehen, dass wir das wieder in Gang bekommen.

Das Interview führte Steffen Leidel für tagesschau.de