Frauen auf einem Lebensmittelmarkt in der marokkanischen Hauptstadt Rabat

Lebensmittelpreise in Marokko Die Kartoffel, fast sechsmal so teuer

Stand: 06.04.2023 10:57 Uhr

Wie in Europa steigen auch in Afrika die Lebensmittelpreise - vor allem im Agrarland Marokko. Speziell Gemüse können sich viele Marokkaner kaum noch leisten. Soziale Verbände rufen zu Protesten auf.

Von Jean-Marie Magro, ARD-Studio Nordwestafrika

Eine kleine Markthalle in der marokkanischen Hauptstadt Rabat. Ein großer muskulöser Mann köpft mit einem ellenlangen, scharfen Messer einen Lachs, der Fleischer wiegt das Hackfleisch auf der Waage ab, und am Gemüse- und Obststand liegen in Körben Erdbeeren aus. Es riecht nach Fisch, einige Fliegen schwirren in der Luft. Alles scheint normal, doch viele Marokkanerinnen und Marokkaner sind aufgebracht. Ganz gleich ob Kunden oder Verkäufer.

"Ein Kilo Fleisch kostet inzwischen 120 Dirham" - also mehr als zehn Euro, beklagt sich der Mann. "Und auch Gemüse ist viel teurer geworden: 13 Dirham für ein Kilo Tomaten, 18 für Zwiebeln. Sardinen, die für viele ärmere marokkanische Haushalte ein Grundnahrungsmittel sind, kosten nun 28 Dirham das Kilo." Ein anderer sagt: "Für ein Ei gebe ich jetzt 1,50 Dirham aus, obwohl es vergangenes Jahr für 0,80 Dirham verkauft wurde." Der Preis für Kartoffeln sei von drei auf 17 Dirham gestiegen, erzählt eine Frau. Der für fünf Liter Sonnenblumenöl von 65 auf 150 Dirham.

Die Ärmeren trifft es zuerst

1,50 Euro für ein Kilo Zwiebeln oder ein Kilo Kartoffeln - in Deutschland wäre das ein Schnäppchen. Doch während in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei rund 51.000 Dollar liegt, beträgt es in Marokko laut Zahlen der Weltbank nicht einmal 4000 Dollar. Eine Kauffrau namens Ghita erinnert sich: "Früher hast du für 100 Dirham für eine ganze Woche Gemüse und Obst für eine Familie einkaufen können. Heute reichen 100 Dirham nicht einmal für einen Tag."

Die Inflation kletterte in Marokko im Februar auf über zehn Prozent. Verglichen mit europäischen Ländern also nicht auffallend höher. Warum der  Preisanstieg trotzdem außergewöhnlich ist, erklärt der frühere Regierungsberater Lahcen Oulhaj: "Um 20 Prozent sind die Lebensmittelpreise gestiegen. Darunter auch das bei den Marokkanern beliebteste Gemüse: Tomaten, Zwiebeln und Kartoffeln. Das trifft zuallererst die ärmeren Schichten, für die Ausgaben für Lebensmittel einen bedeutenden Teil ihres Budgets ausmachen." 

Dürre, gestiegene Spritpreise und der Krieg in der Ukraine

Die Gründe für die stark gestiegenen Preise sind vielfältig: Marokko wurde vergangenes Jahr von einer heftigen Dürre getroffen. Auch in diesem Jahr hat es noch nicht genug geregnet. Hinzu kamen steigende Spritpreise, auch wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Der Wirtschaftswissenschaftler Hassan Azouaoui bestätigt die schlechte Situation und auch, dass sich das auf den täglichen Einkaufskorb der Marokkaner niederschläge. Schlimmer mache die Situation noch, dass gerade der Fastenmonat Ramadan gefeiert werde.

Denn während des Fastenmonats wird keinesfalls weniger, sondern eher besser gegessen. Früher war es üblich, täglich Fisch auf den Tisch zu stellen. Heute genießen immer weniger dieses Privileg. Viele Marokkaner verstehen nicht, warum in einem Land wie dem ihren, mit einer so großen Landwirtschaft, die Regale leerer werden, die Nahrungsmittel dafür teurer.

Die Kauffrau Ghita sagt, solange Marokko nur nach Europa Lebensmittel exportierte, sei noch alles gut gewesen. "Aber nachdem wir uns für Zentralafrika geöffnet haben, haben sich die Exporte vervielfacht. Es gibt keine Beschränkungen. Deshalb gibt es weniger Produkte auf dem marokkanischen Markt - und automatisch höhere Preise."

Die Großgrundbesitzer profitieren

Auf den Märkten sind rote Zwiebeln häufig schon ausverkauft. Wenn noch welche da sind, dann schon einige Tage alt und etwas verdorrt. Der Bauunternehmer Omar sagt, die Reformen der Regierung in der Landwirtschaft hätten vor allem einen Gewinner hervorgebracht: "Die Großgrundbesitzer in der Landwirtschaft haben profitiert, indem sie die Produktion für Güter angekurbelt haben, die Exportschlager sind: Datteln, Pistazien und Wassermelonen zum Beispiel."

Auch der Ökonom Hassan Azouaoui aus Rabat findet das Krisenmanagement unzureichend: "Die Preise für Nahrungsmittel, die die Marokkaner täglich essen, sind ungerechtfertigt hoch gestiegen. Und die Regierung ist wie vom Erdboden verschluckt. Sie sagt nicht, was sie tut. Und das, was sie tut, zeigt keine Wirkung." Die Bewegung Front Social Marocain, auf Deutsch Soziale Front Marokkos, ruft zu Protesten gegen die Preissteigerungen auf. Zuletzt für diesen Freitag in 24 Städten. Eine beliebte Forderung ist zum Beispiel ein Exportverbot für Lebensmittelprodukte.

"So kann es nicht weitergehen"

Der ehemalige Regierungsberater und Wirtschaftsprofessor Lahcen Oulhaj befürchtet, dass so ein neuer Konflikt zwischen Bevölkerung und Landwirtschaft geschaffen wird, die auf Exporte angewiesen ist. Er meint: "Die ärmeren Schichten haben kein Polster und können sich bei diesen Preisen nicht mehr richtig ernähren. Wenn es so weitergeht, müsste man den Ärmeren direkt mit Geldtransfers helfen."

Einig sind sich alle Gesprächspartner in einer Sache: So wie es derzeit läuft, kann es nicht weitergehen. Die Beamtin Sanaa sagt, das Resultat der Politik des vergangenen Jahres sei "ein sozialer Unmut, der in Demonstrationen Gestalt annimmt. Sollten politische Maßnahmen ausbleiben, könnte dieser Protest größer und unkontrollierbar werden".

Jean-Marie Magro, ARD Rabat, 06.04.2023 09:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. März 2022 um 13:32 Uhr.