
Kuriere in Korea Pakete liefern bis zum Tod
Stand: 25.11.2020 10:47 Uhr
Durch die Corona-Pandemie bestellen die Menschen in Südkorea noch mehr Waren als zuvor. Viele Kuriere sind überarbeitet, kommen auf mehr als 70 Stunden pro Woche - es gab bereits mehrere Todesfälle.
Von Kathrin Erdmann, ARD-Studio Tokio
Wagentür auf, Päckchen auf die Sackkarre, rein in den Fahrstuhl, wieder zurück und zum nächsten Kunden. Im Laufschritt hetzt Jeong Sang-Rok von einem Kunden zum nächsten. "Ich möchte mich so gern als Vater mehr um meine Kinder kümmern, aber dafür bleibt kaum Zeit. Ich muss einfach Geld verdienen und sehe sie nur selten, ich habe ein schlechtes Gewissen."
14 Stunden, keine Pause
Jeong, 51 Jahre alt, arbeitet bei einem Lieferdienst. Seine Tage, sagt er einem Reuters-Reporter, seien lang: 14 Stunden täglich, ohne Pause, schließlich müsse er 250 Pakete überbringen. "Menschen aus der Branche sind schon ums Leben gekommen. Die bittere Ironie daran: Wir arbeiten eigentlich, um zu leben, nicht um zu sterben."
Mehr als 70 Stunden arbeiteten Lieferanten derzeit pro Woche, hat eine Interessengruppe für Arbeitsgesundheit bei einer Umfrage herausgefunden. Das sind zehn Stunden mehr als das, was in Südkorea als Arbeitsüberlastung eingestuft wird.
2000 netto bei einer 70-Stunden-Woche
Dass Jeong und seine Kollegen so viel arbeiten, liegt auch daran, dass ein Teil ihrer Arbeitszeit nicht als solche berechnet wird - zum Beispiel, wenn die Pakete vom Band in den Lastwagen einsortiert werden. Der 51-Jährige geht am Ende des Monats mit etwa 2000 Euro netto nach Hause.
Die Arbeiter haben bereits gegen die Bedingungen protestiert, die jüngsten Todesfälle haben Öffentlichkeit und Politik aufgeschreckt.
CJ Logistics ist ein Unternehmen, in dem sich Mitarbeiter regelrecht zu Tode gearbeitet haben. An den Lastern hängen deshalb Transparente, auf denen sich die Firma entschuldigt.
Geschäftsführer Park Keun-Hee sagte auf einer Pressekonferenz: "Als Geschäftsführer fühle ich mich verantwortlich für mehrere tote Kuriere und entschuldige mich aus tiefstem Herzen für das Leid der Menschen." Dann verbeugt er sich tief und lange. Die Kameras klicken.
Das Arbeitsministerium will für Logistikfirmen strengere Sicherheitsmaßnahmen einführen, auf Nachtarbeit soll soweit es geht verzichtet und regelmäßige Gesundheitschecks durchgeführt werden.
Keiner will seine Stelle riskieren
Doch es müsste sich auch strukturell etwas ändern, denn derzeit ist eine Mehrheit der Kuriere selbständig und oft über Subunternehmer beschäftigt, die miteinander im Konkurrenzkampf stehen. "Und inmitten der gegenwärtigen Krise kann es sich keiner leisten, den Job zu verlieren, selbst so einen nicht", sagt der Arbeiter Kim.
Kurier Jeong Sang-Rok hetzt schon wieder zum nächsten Kunden, er hat keine Zeit und blickt pessimistisch in die Zukunft. "Wenn von Work-Life-Balance die Rede ist, klingt das wie aus seiner anderen Welt. Ich würde sehr gern eine Balance zwischen Leben und Arbeiten haben."
Corona und Lieferdienste: Tod durch Überarbeitung in Südkorea
Kathrin Erdmann, ARD Tokio
25.11.2020 09:31 Uhr
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