Hintergrund

Nach Gaddafis Sturz Welche Interessen hat die Welt in Libyen?

Stand: 31.08.2011 09:49 Uhr

Nach der Entmachtung Gaddafis stehen die westlichen Handelspartner Libyens schon in den Startlöchern: Ölförderung und Wiederaufbau der Infrastruktur, wie zum Beispiel der Bau von Autobahnen, versprechen millionenschwere Verträge. tagesschau.de gibt einen Überblick über die Interessen der einzelnen Länder.

In den 42 Jahren seiner Herrschaft war Gaddafi für westliche Staaten ein wichtiger Handelspartner - so wichtig, dass ihnen die wirtschaftlichen Beziehungen zu Libyen lange bedeutender waren als Terrorismusverdacht und Unterdrückung des Volkes.

Mit den Protesten in Libyen änderte sich das schlagartig. Trotzdem bleibt Libyen ein Haupt-Öllieferant - und auch in anderen Bereichen hegt die Welt wirtschaftliche Interessen. tagesschau.de gibt einen Überblick über einzelne Länder.

Deutschlands Ansehen in Libyen hat gelitten

Deutschlands Ansehen in Libyen hat gelitten

Die Bundesregierung übt sich in ihrer Libyen-Politik in Schadensbegrenzung. Das Land stehe am "Wendepunkt seiner Geschichte", so Regierungssprecher Seibert.  Man werde alles dafür tun, beim Wiederaufbau zu helfen. Und der Wirtschaftminister wird noch deutlicher: "Deutschland macht Libyen das Angebot, beim Aufbau demokratischer Strukturen genauso zu helfen wie beim Wiederaufbau des Landes und seiner wirtschaftlichen Infrastruktur", so Rösler gegenüber tagesschau.de.

Die Bundesregierung muss sich hinten anstellen

Die Bundesregierung möchte nach dem Sturz von Gaddafi an die einst guten Beziehungen zu Libyen anknüpfen. Immerhin war Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner Libyens. Deutsche Unternehmen lieferten im Jahr 2010 Waren im Umfang von 996 Millionen Euro nach Libyen. Über 30 Unternehmen waren im Land, sie engagierten sich rund um die Ölproduktion und in der Infrastruktur, beispielsweise im Straßenbau. Für die Deutschen war Libyen einer der wichtigsten Öllieferanten. Mit Beginn der NATO-Luftangriffe verließen alle Unternehmen das Land, die Exporte brachen völlig ein. Sämtliche Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern liegen auf Eis.

Nun erwachen neue Hoffnungen auf Investitionen. Allerdings scheint derzeit auch klar: Deutschland muss sich erst einmal hinten anstellen. Das Ansehen der Deutschen in Libyen hat durch die deutsche Enthaltung im UN-Sicherheitsrat gelitten.

Erst Stabilisierung, dann Rückkehr deutscher Firmen

Langfristig aber, so glaubt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, werde die deutsche Wirtschaft durch die Libyen-Politik der vergangenen Monate keine Nachteile haben.  "Produkte made in Germany und deutsche Ingenieursleistungen sind gefragt", so Ute Brüssel vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag gegenüber tagesschau.de.

Schwerpunkte für Investitionen sieht der DIHK  neben der Ölförderung  im Ausbau der Infrastruktur wie dem Wohnungsbau, dem Ausbau des Straßennetzes und der Wasser- und Stromversorgung. Auch der Ausbau der Solarenergie könnte eine wichtige Rolle spielen. Allerdings wird es mit der Rückkehr deutscher Firmen ins Land nach Einschätzung des DIHK noch dauern. Voraussetzung seien die Stabilisierung der Sicherheitslage und die Aufhebung der EU-Sanktionen. Der DIHK denkt über die Eröffnung eines eigenen Büros in Libyen nach. Wann das Projekt realisiert werde, sei aber völlig ungewiss. 

Und der vielgescholtene deutsche Außenminister? Westerwelle lenkt den Blick gerne weg vom angespannten Verhältnis zu Libyen hin auf den gesamten nordafrikanischen Raum. "Wir haben dort eine Region im Umbruch, und die braucht insgesamt deutsche Investitionen", betonte er unlängst gegenüber Journalisten.

Frankreich profitiert von seiner Vorreiterrolle

Frankreich profitiert von seiner Vorreiterrolle

Präsident Nicolas Sarkozy war Vorreiter in der internationalen Anti-Gaddafi-Allianz: Frankreich bestand zu Beginn der Krise in Libyen auf einem europäischen Sondergipfel, legte die UN-Resolution im Sicherheitsrat vor und setzte gemeinsam mit Großbritannien die militärische NATO-Intervention um. Bereits im März traf Sarkozy Vertreter der libyschen Rebellen, Frankreich erkannte als erster Staat deren Übergangsrat diplomatisch als legitime Regierung an. Und nun, nach dem Sturz Gaddafis, war es auch die Grande Nation, die als erstes ihre Botschaft in Tripolis wieder eröffnete.

Frankreich erhofft sich von der Vorreiterrolle wirtschaftliche Vorteile. 50 Länder hat Sarkozy für Donnerstag zu einer Unterstützungskonferenz nach Paris eingeladen, um dort über die nächsten Schritte in Libyen zu konferieren. Dabei soll es um die Stärkung der Sicherheitskräfte gehen, aber auch um den Wiederaufbau der Infrastruktur. Und der beinhaltet Aufträge in Millionenhöhe.

Politische Kehrtwende aus Eigennutz?

Frankreichs politische Kehrtwende passiert also nicht ohne Eigennutz. Noch im Herbst 2010 hatten Frankreich und Libyen sich auf eine strategische Partnerschaft zum Bau eines Atomkraftwerkes geeinigt - und auf die Lieferung von Kampfjets von Frankreich an Libyen. Sarkozy hatte nicht nur besondere diplomatische Beziehungen zu Machthaber Gaddafi: Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten 2007 schlug Gaddafi sein Zelt in Paris auf, und wurde mit militärischen Ehren empfangen. Im gleichen Jahr verhandelte der Präsident erfolgreich mit dem Despoten über die Freilassung von zwölf bulgarischen Krankenschwestern, die in Libyen in Geiselhaft waren, und schloss Exklusivverträge für die französische Rüstungsindustrie ab.

Frankreich war auch einer der Haupthandelspartner Libyens in der Europäischen Union. 205.000 Barrel Öl importierte Frankreich pro Tag. Zwar wurde die Ölförderung während der Aufstände massiv zurückgefahren, vom bald erhofften Wirtschaftsaufschwung will Frankreich aber profitieren. Und so betonen Frankreichs Spitzenpolitiker immer wieder, wie wichtig die Unterstützung für den Sturz Gaddafis gewesen sei. "Nur das militärische Eingreifen der internationalen Gemeinschaft hat ein echtes Blutbad verhindert", sagte Frankreichs Außenminister Alain Juppé bei einem Besuch in Berlin.

EU: Wiederherstellung der zivilen Ordnung ist dringlichste Aufgabe

EU: Wiederherstellung der zivilen Ordnung ist dringlichste Aufgabe

Von Cai Rienäcker, SWR-Hörfunkstudio Brüssel

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sieht es als dringlichste Aufgabe der Europäischen Union, die zivile Ordnung in Libyen wieder herzustellen. Dazu gehört nach Ansicht der EU-Chefdiplomatin, dass die an die Bevölkerung verteilten Waffen schnell wieder eingesammelt werden. Sicherheitskräfte und Beamte müssten ihre Gehälter bekommen, aber auch Benzin für ihre Fahrzeuge.

Die EU hat bereits in den vergangenen Monaten größere Hilfslager im Osten Libyens angelegt. Diese Nahrungsmittel, medizinische und technische Ausrüstung werden jetzt im Land verteilt. Für die EU ist es sehr wichtig, dass wieder Ruhe im Land einkehrt, sich die Bevölkerung sicher fühlt und die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.

So könnte der Flüchtlingsdruck auf die italienische Insel Lampedusa langfristig abnehmen. Die Flüchtlingsströme aus Nordafrika zu kontrollieren, ist eines der wichtigsten strategischen Ziele der EU. Gleichzeitig ist Libyen ein wichtiger Baustein in der europäischen Energieversorung. Vor den Kampfhandlungen floss über 80 Prozent des libyschen Öls nach Europa.

US-Regierung befürchtet Rache der Sieger

US-Regierung befürchtet Rache der Sieger

Von Ralph Sina, ARD-Hörfunkstudio Washington

"Wir wissen nicht, wer und was nach Gaddafi kommt - aber Libyens Zukunft, die kann nur menschenwürdiger werden als die 42jährige Dauer-Diktatur des Dispoten"- so lautet Washingtons vage Hoffnung. Die Obama-Regierung macht sich keine Illusionen: Libyens einzige nennenswerte Einkommensquelle ist das Öl. Und nichts fürchtet Obamas Beraterstab mehr, als das es um diese Ölquellen schon bald zu einem erbitterten Krieg zwischen Libyens rivalisierenden Stämmen und verfeindeten Rebellen kommt.

Ralph Sina, WDR

Ralph Sina, ARD-Hörfunkstudio Washington

"Wirkliche Gerechtigkeit wird nicht durch Rache und Gewalt erreicht", lautet deshalb vorsorglich die Botschaft von US-Präsident Obama an die Übergangsregierung in Bengasi.

Obama: Rechte aller Libyer müssen respektiert werden

Die Rechte aller Libyer müssten jetzt respektiert werden, sagt der Präsident in einer Audio-Botschaft - und damit auch die jener Gruppen, die jahrzehntelang auf der Seite Gaddafis standen. Die kommende Übergangsperiode müsse sich durch drei Eigenschaften auszeichnen, so Obama: "Friedlich, alle Stämme umfassend und gerecht." 

Doch die Obama-Regierung fürchtet, dass es angesichts der schwachen Zivilgesellschaft in Libyen zu einer gnadenlosen Rache der Sieger kommt, möglicherweise zu einem langen Bürgerkrieg und im schlimmsten Fall zu einem Zerfall des Landes. Mit Hilfe der staatlichen Entwicklungshilfeorganisation USAID will Washington der Übergangsregierung helfen, möglichst schnell die Versorgung der Zivilbevölkerung zu verbessern.

Da gebe es ja noch über 30 Milliarden Dollar auf Gaddafis eingefrorenen amerikanischen Konten, betont eine Sprecherin des US-Außenministeriums. Die werde man in Abstimmung mit dem Übergangsrat der Rebellen für humanitäre Maßnahmen einsetzen. Gleichzeitig soll der US-Auslandsgeheimdienst CIA mit seinen zahlreichen in Libyen stationierten Agenten und Überwachungsdrohnen verhindern, dass die Waffenlager und Giftgasarsenale Gaddafis in die Hände von Al Kaida-Terroristen gelangen.  

Ralph Sina, R. Sina, WDR Washington, 23.08.2011 09:29 Uhr

China befürchtet wirtschaftliche Nachteile

China befürchtet wirtschaftliche Nachteile

Von Ruth Kirchner, ARD-Hörfunkstudio Peking

Lange Zeit hat Peking gezögert, die Rebellenbewegung in Libyen anzuerkennen. Mit dem alten Libyen pflegte die Volksrepublik enge wirtschaftliche Kontakte, hatte vor dem Konflikt 35.000 Arbeiter in dem nordafrikanischen Land. Erst Anfang letzter Woche, als ein Sturz von Gaddafi so gut wie sicher schien, hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums, man respektiere die Entscheidung des libyschen Volkes, Gaddafi vertreiben zu wollen.

Eine offizielle Anerkennung ist das zwar immer noch nicht, aber faktisch kommt es einer Abkehr vom Gaddafi-Regime gleich. Damit erhoffte man sich, die Beziehungen zu Libyen jetzt auf eine neue Grundlage zu stellen, sagt He Wenping, Afrika-Expertin an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. "Was den Wiederaufbau angeht, werden sie eine Menge Hilfe brauchen – finanziell, personell und technologisch. China ist bereit, diese Art von Unterstützung zu geben und in Zukunft zu helfen."

China fordert führende Rolle der UN

Zugleich fordert China eine führende Rolle der Vereinten Nationen beim Wiederaufbau. Und das wohl nicht ohne Grund. Offensichtlich sorgt man sich in Peking, dass die neue Regierung die Länder bevorzugen könnte, die die Militäraktion der NATO gegen Gaddafis Truppen mitgetragen haben. Entsprechende Äußerungen eines Rebellenführers ließen in Peking die Alarmglocken schrillen. China hatte den Militäreinsatz der NATO abgelehnt, hatte allerdings im Weltsicherheitsrat nicht von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht, mit der man die  entsprechende UN-Resolution hätte stoppen können. 

Wie Deutschland hatte sich China der Stimme enthalten, hatte aber in den letzten Monaten immer wieder seinen Unmut über die Luftangriffe deutlich gemacht. Man habe sich aber jetzt nichts vorzuwerfen, sagt He Wenping: "Anders, als viele westliche Länder haben wir die Rebellen nicht militärisch unterstützt." China lehne es ab, Konflikte militärisch zu lösen. "Das heißt aber nicht, dass wir auf der anderen Seite standen. Wir sehen uns als Dialogpartner."

"Nicht-Einmischung ist weiterhin Chinas Grundsatz"

Bereits im Juni hatte Peking erste Kontakte zu den Rebellen aufgenommen, hatte wiederholt Gespräche geführt mit Vertretern des Nationalen Übergangsrates. Das China sich so früh so weit vorwagte, war relativ ungewöhnlich.  Denn die Volksrepublik insistiert in der Regel auf ihrer Doktrin der Nicht-Einmischung. Rückte man in Libyen also davon ab? Jin Canrong sieht das anders. "Nicht-Einmischung ist weiterhin Chinas Grundsatz in der Außenpolitik. Das hat sich nicht geändert", sagt der Experte für Internationale Politik an der Pekinger Volksuniversität. "Aber was die Umsetzung dieses Grundsatzes angeht, da wird China flexibler."

Bei anderen Konflikten verfolgt man die alte Linie: China widersetzt sich beispielsweise derzeit vehement  einer UN-Resolution gegen Syrien. Was die Zukunft Libyens  angeht, hofft man jetzt, dass die  neuen Machthaber nicht nur China in den Wiederaufbau mit einbeziehen, sondern auch chinesische Investitionen im Lande schützen und alte Verträge anerkennen.

China war ein wichtiger Abnehmer von libyschem Öl. 150.000 Barrel wurden pro Tag nach China geliefert – das entspricht drei Prozent der jährlichen chinesischen Öl-Importe. Dutzende von chinesischen Firmen waren zudem in Libyen aktiv – unter anderem im Straßenbau. Zu Beginn des Konflikts hatte China 35.000 seiner Arbeiter  abgezogen – in einer bislang einmaligen Evakuierungsaktion. Doch ob sie jetzt zurückkehren werden, das ist noch offen. Zumindest eines hat Peking aber bereits erreicht: Bei der großen Libyen-Konferenz, die Frankreich am Donnerstag in Paris organisiert, sitzen Vertreter Chinas mit am Tisch.  

Italien hofft, dass mit Gaddafi geschlossene Abkommen Bestand haben

Italien hofft, dass mit Gaddafi geschlossene Abkommen Bestand haben

Von Stefan Troendle, ARD-Hörfunkstudio Rom

Italien und Libyen sind wirtschaftlich eng verflochten. Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs war Libyen Italiens wichtigster Energielieferant – etwa ein Drittel aller Öl- und Gaslieferungen stammten von dort, im Wert von jährlich etwa 10 Milliarden Euro. Erst 2008 hatten beide Länder einen Freundschaftsvertrag unterschrieben, der Öl- und Gaslieferungen bis 2042 garantierte.

Italien hofft natürlich, dass auch eine neue libysche Regierung dieses noch mit Gaddafi geschlossene Abkommen respektiert. Sicher auch deswegen hat Italien 350 Millionen Euro an blockierten Geldern des Gaddafi-Regimes freigegeben, um die Übergangsregierung zu unterstützen. Wieviele der momentan im Ausland gesperrten 20 Milliarden in Italien angelegt sind, weiß man nicht, aber die Summe dürfte recht hoch sein: Der libysche Staat hält unter anderem Beteiligungen an der Unicredit-Bank und dem Rüstungskonzern Finmeccania.