General Khalifa Haftar bei einer Militärparade im Mai 2018
FAQ

Eskalation in Libyen Der General und die Macht

Stand: 05.04.2019 15:12 Uhr

Mehrere Regierungen, viele Milizen, unzählige Waffen: Die Situation in Libyen ist nur schwer zu überblicken. Wer ist General Haftar? Und warum marschiert er Richtung Tripolis?

Von Marc Leonhard, tagesschau.de

Wer regiert Libyen?

Der Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi hinterließ ein Machtvakuum in Libyen, das schnell von verschiedenen bewaffneten Milizen, mächtigen Familien und Terrorgruppen gefüllt wurde. Die faktische Macht liegt nach Ansicht vieler Experten dabei eher bei den bewaffneten Gruppen als bei den Politikern.

In Tripolis im Westen des Landes sitzt die international anerkannte Einheitsregierung von Fayez al-Sarradsch. Seit der umstrittenen Parlamentswahl 2014 gibt es in Tobruk, im Osten des nordafrikanischen Landes, eine Gegenregierung.

Fajes al-Sarradsch (in schwarz) bespricht sich mit Kommandeuren.

Al-Sarradsch (in schwarz) bespricht sich mit Kommandeuren.

Vermittelt von der französischen Regierung und den Vereinten Nationen haben sich beide Seiten mehrfach auf Waffenstillstände, eine friedliche Machtteilung und Wahlen verständigt. Sogar einen Wahltermin gibt es: Am 10. Dezember sollen Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden. Es ist aber unklar, ob es tatsächlich dazu kommt.

In Libyen sind viele bewaffnete Gruppen mit wechselnden Loyalitäten aktiv. Nach dem schnellen Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes wurden Armeedepots geplündert und Soldaten sowie Paramilitärs nahmen ihre Ausrüstung mit nach Hause - so wurde Libyen geradezu mit Waffen überschwemmt. Die "Hausarmee" der östlichen Regierung ist die Libysche Nationale Armee (LNA), die von General Haftar kommandiert wird. In den vergangenen Monaten hat die LNA das von ihr kontrollierte Gebiet deutlich Richtung Süden und Westen ausgedehnt.

Wer ist General Haftar?

Khalifa Haftar blickt auf eine wechselvolle Karriere zurück. Derzeit ist er einer der einflussreichsten Männer Libyens und der mächtigste Gegenspieler der international anerkannten Regierung in Tripolis. Im Osten des Landes wird der Offizier unter anderem wegen seiner Rolle beim Sturz des Diktators Gaddafi 2011 und seines Einsatzes gegen Islamisten geachtet. Bei seinen Gegnern wird er hingegen für seine langjährige Zusammenarbeit mit Gaddafi verachtet.

Haftar beteiligte sich 1969 als Adjutant Gaddafis am Sturz des libyschen Königs Idris. Es folgte eine steile Karriere in den Streitkräften, die in der Beförderung zum Feldmarschall gipfelte. Danach beauftragte Gaddafi ihn mit dem Oberkommando der libyschen Truppen im Tschad, die dort offiziell gar nicht im Einsatz waren. 1987 wurde Haftar mit 300 Soldaten im Tschad gefangen genommen - und Gaddafi ließ ihn fallen.

Nach seiner Freilassung holten die USA - keine Freunde des Gaddafi-Regimes - ihn ins Land, wo er in Virginia nicht weit entfernt von diversen Regierungsstellen und dem CIA-Hauptquartier lebte. Von dort kehrte Haftar zu Beginn des Aufstands 2011 gegen den libyschen Langzeitherrscher zurück und wurde zum wichtigen Kommandeur der Rebellen.

Khalifa Haftar

General Haftar übernimmt seit Jahrzehnten Führungsrollen in Libyen. (Foto von 2018)

Nach dem Sturz Gaddafis konnte sich Haftar nicht im Zentrum der Macht halten. Er ging zurück in den Osten des Landes, wo er 1943 in Adschdabiya geboren worden war. Er wurde Chef der Streitkräfte der Gegenregierung. Jahrelang kämpfte er gegen verschiedene Milizen und islamistische Terrorgruppen wie den "Islamischen Staat".

Haftar nahm mehrfach an Verhandlungen mit dem international anerkannten Regierungschef Sarradsch teil, die Lager scheiterten allerdings wiederholt an einer dauerhaften Machtteilung. Parallel dazu warb Haftar in Ägypten, Staaten am Persischen Golf und möglicherweise auch in Russland um Unterstützung für seinen Kurs. Erst in der vergangenen Woche traf er sich mit König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman von Saudi-Arabien, wie das Außenministerium in Riad bestätigte.

Warum handelt Haftar ausgerechnet jetzt?

Die genauen Motive der Gegenregierung sind nur zu erahnen, es gibt jedoch starke Indizien.

Ende kommender Woche beginnt im libyschen Ghadames eine von den UN organisierte Nationalkonferenz, auf der - wieder einmal - über eine stabile Zukunft des Landes beraten werden soll. Zur Konferenz sind eine Vielzahl politischer, regionaler, zivilgesellschaftlicher, militärischer und paramilitärischer Organisationen, aber keine Vertreter des Auslands, eingeladen. Es ist möglich, dass die Gegenregierung und die LNA sich eine möglichst starke Position für die Verhandlungen sichern wollen.

Dafür spricht auch, dass die von Haftar befehligte LNA in den vergangenen Monaten wichtige Erdölinfrastruktur wie Bohranlagen, Pumpstationen und Ölterminals eingenommen hat. Die Ölindustrie ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig des Landes - ohne Deviseneinnahmen aus dem Ölexport würde es Libyen noch schlechter gehen als ohnehin schon.

Blick auf das Al-Scharara-Ölfeld in Libyen (Dezember 2014)

Die libysche Wirtschaft hängt am Ölhahn - ohne das schwarze Gold werden keine Devisen eingenommen. (Archivbild)

Bereits im vergangenen Sommer hatte Haftar seine Kontrolle über Ölinfrastruktur genutzt, um die international anerkannte Regierung unter Druck zu setzen. Nachdem Regierungschef Sarradsch zugesagt hatte, das Verhalten der Zentralbank überprüfen zu lassen, nahm Haftar die Zusammenarbeit mit der nationalen Ölgesellschaft wieder auf.

Die offizielle Zentralbank wiederum ist ein großer Streitpunkt zwischen den Regierungen in West und Ost. Das Institut mit Sitz in Tripolis verwaltet die Ölgelder und wird von der anerkannten Regierung gelenkt. General Haftar behauptet, dass von diesen Geldern im Osten weder Investitionen finanziert noch Gehälter bezahlt werden.

Die Gegenregierung in Tobruk hat deshalb ebenfalls eine "Zentralbank" gegründet, die eigenes Geld - unter anderem in Russland - drucken lässt. Mit diesem Geld werden Verwaltung und Kämpfer bezahlt. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters wurden seit 2014 Schulden in Höhe von umgerechnet 23 Milliarden Dollar angehäuft.

Wie positioniert sich das Ausland?

Vor acht Jahren mischte sich eine Militärallianz der drei NATO-Staaten Frankreich, Großbritannien und USA in den Bürgerkrieg in Libyen ein und sorgte für den Sturz des Diktators Gaddafi. Eine klare Strategie für die Zeit nach Gaddafi fehlte allerdings - es folgten Chaos und Kämpfe.

Im Herbst 2011 wurde die United Nations Support Mission in Libya (UNSMIL) gegründet, die unter anderem beim Aufbau eines Rechtsstaats und der Organisation von Wahlen helfen soll. Sie wird seit Sommer 2017 vom Libanesen Ghassan Salame geleitet. Kurz nach der jetzigen Ankündigung General Haftars, Tripolis einzunehmen, rief UN-Generalsekretär Antonio Guterres zur Zurückhaltung auf.

Als wichtiger Vermittler hat sich auch immer wieder die französische Regierung eingeschaltet. Mehrfach lud Präsident Emmanuel Macron Vertreter der unterschiedlichen Seiten zu Vermittlungsgesprächen nach Paris ein - dabei gab es zwar Fortschritte, aber keinen nachhaltigen Durchbruch.

Die USA flogen mehrfach seit 2015 Luftangriffe auf terroristische Ziele in Libyen. Diese standen in Zusammenhang mit einem Terroranschlag auf das US-Generalkonsulat in Bengasi, bei dem im September 2012 Botschafter Chris Stevens und drei weitere US-Bürger getötet worden waren.

Außerdem sollen britische und französische Spezialeinheiten in dem Land aktiv (gewesen) sein. Darüber sind offiziell aber keine Informationen bekannt.

In Deutschland spielt Libyen allenfalls in der Debatte über die Flucht nach Europa eine Rolle. Schleuser nutzten jahrelang die schwachen staatlichen Institutionen, um Menschen auf den Weg nach Italien und Malta zu schicken. Diese Route wird inzwischen von weniger Flüchtlingen genutzt, weil die libysche Küstenwache mit europäischer Hilfe besser ausgerüstet wurde.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. April 2019 um 12:12 Uhr.