
Italienisch-libysches Abkommen "Zerreißt diese Vereinbarung"
Stand: 02.11.2019 15:41 Uhr
Die italienische Regierung wird die umstrittene Zusammenarbeit mit Libyen in der Flüchtlingspolitik wohl fortsetzen. 19 Hilfsorganisationen protestieren dagegen.
Von Jörg Seisselberg, ARD-Hörfunkstudio Rom
19 italienische Nicht-Regierungsorganisationen fordern, Rom solle seine Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache beenden. "Zerreißt diese Vereinbarung", heißt es. Bis um Mitternacht müsste Italien das entsprechende Memorandum kündigen. Sonst verlängert sich die Vereinbarung automatisch um drei Jahre. Das Abkommen sieht von italienischer Seite unter anderem Geld und Ausbildung für die libysche Küstenwache vor. Diese soll dafür Boote mit Flüchtlingen und Migranten abfangen.
Oxfam Italia ist eine der Organisationen, die gegen die Vereinbarung protestiert. Deren Mitglied Paolo Pezzati kritisiert, dass die libysche Küstenwache als Partner unakzeptabel sei. Sie bringe Flüchtlinge in unmenschliche Verhältnisse zurück. "Wir sind absolut dagegen, diese Vereinbarung zu verlängern. Die flüchtenden Menschen leiden zwei Mal. Wenn sie abgefangen werden, kommen sie wieder zurück in den Kreislauf des Freiheitsentzugs und der Ausbeutung."
Deutlich weniger Tote im Meer
Außenminister Luigi Di Maio verteidigt das 2017 von der sozialdemokratischen Regierung Gentiloni geschlossene Abkommen mit der Regierung in Tripolis. Auch Di Maio räumt aber ein: "Das Dokument kann verändert und verbessert werden. Aber niemand kann bestreiten, dass sich durch die verbesserte Handlungsfähigkeit der libyschen Einsatzkräfte die Zahl der Ankünfte aus Libyen erheblich reduziert hat und in der Folge auch die Zahl der Toten auf der zentralen Mittelmeerroute."
Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung kann sich dabei auf Zahlen der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen aus dieser Woche berufen. Seit Inkrafttreten des Abkommens ging die Zahl der Opfer auf zentralen Mittelmeerroute im ersten Jahr um ein Drittel zurück, 2018 um zwei Drittel und in diesem Jahr kamen bislang 85 Prozent weniger Menschen ums Leben als vor Inkrafttreten des Abkommens.
Kriminelle in der Küstenwache
Die Nicht-Regierungsorganisationen bestreiten diese Entwicklung nicht. Sie betonen aber, das zentrale Mittelmeer bleibe die tödlichste aller Flüchtlingsrouten. Wer gerettet werde, fordert Filippo Miraglia vom Nationalen Asyltisch Italiens, dürfe auf keinen Fall nach Libyen zurückgebracht werden. In der libyschen Küstenwache seien auch kriminelle Milizienführer aktiv. Er sagt: "Wir wollen, dass das Memorandum gestoppt wird. Stattdessen müssen in Libyen die Menschen aus den Lagern gebracht werden. Ein Programm zur Förderung eines Friedensprozesses muss aufgelegt und den Menschen geholfen werden."
Rom betont Vorteile des Abkommens
Die italienische Regierung dagegen behauptet, genau dies bewirke das Abkommen. Das Memorandum mache auch die Präsenz internationaler Organisationen möglich. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Libyen sei präsent, betreibe ein eigenes Sammellager und habe bislang etwa 4400 Flüchtlinge und Asylsuchende außer Landes gebracht.
Auch die Internationale Organisation für Migration darf seit dem Abkommen in Libyen aktiv sein und dort gestrandeten Migranten helfen, in ihre Heimatländer zurückzukehren und sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Im Rahmen dieses Programms konnten bis zum August dieses Jahres 29.227 Menschen Libyen auf geschütztem Weg verlassen.
"Alternative Hilfe" von den UN
Libyen sei nach wie vor kein sicherer Hafen, betont das UN-Flüchtlingshilfswerk. Andererseits sagte der UNHCR-Verantwortliche in Tripolis, Jean-Paul Cavalieri, im September auf einer Konferenz in Rom, dass die Zusammenarbeit vor Ort mit der libyschen Küstenwache besser geworden sei. "Mehr und mehr beobachten wir, dass Migranten und Flüchtlinge, die aus dem Meer gerettet und an Land zurückgebracht werden, nicht in Inhaftierungslager gebracht werden. Das gibt uns die Möglichkeit, zu diesen Leuten hinzugehen und ihnen alternative Hilfe zu geben", sagte Cavalieri.
In sechs libyschen Häfen ist das UNHCR mittlerweile aktiv. Unter anderem an diese Entwicklungen will Italiens Regierung anknüpfen. Außenminister Di Maio betont, er werde das Abkommen mit Tripolis nicht kündigen, in den nächsten Wochen aber Gespräche über Veränderungen am Memorandum führen. Ziel sei es, die Situation der Migrantinnen und Migranten in dem nordafrikanischen Land zu verbessern.
Kooperation mit Libyens Küstenwache? Streit um Vertragsverlängerung
Jörg Seissel, ARD Ro,m
02.11.2019 15:11 Uhr
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