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Interview zur Regierungskrise in Italien "Berlusconi ist noch nicht am Ende"

Stand: 02.10.2013 18:06 Uhr

Berlusconi hat hoch gepokert - und verloren. Der gescheiterte Aufstand gegen die italienische Regierung ist für ihn eine herbe Niederlage. "Am Ende ist Berlusconi aber noch lange nicht", sagt der italienische Journalist Stefano Vastano im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Silvio Berlusconi ist mit seinem Manöver, die Regierung von Permier Enrico Letta zu stürzen, gescheitert. Ist Berlusconi der politische Instinkt abhanden gekommen?

Vastano: Vielleicht - doch nach so vielen Jahren in der Politik muss man Berlusconi zumindest zugestehen, dass er einen guten Riecher hat. Ihm ist gewiss nicht über Nacht seine politische Kampfbereitschaft abhanden gekommen. Er ist vielmehr von der politischen Entwicklung überrascht worden. Er sieht sich plötzlich einem neuen, gemäßigten Block innerhalb des rechten Lagers gegenüber - angeführt ausgerechnet von dem Chef seiner Partei, Angelino Alfano. Dieser hat plötzlich die Courage, die politische Autonomie gefunden, sich gegen Berlusconi durchzusetzen.

Zur Person
Stefano Vestano arbeitet seit 1989 als Journalist in Deutschland. Der 52-Jährige ist langjähriger Korrespondent der italienischen Wochenzeitung "L'Espresso".

Zum ersten Mal hat Alfano Nein zu Berlusconi gesagt. Er wollte mit der Regierung von Letta weiterarbeiten und hat das durchgesetzt. Wir sehen nun offenbar die Entstehung einer neuen Mitte-Rechts Partei, einer gemäßigten Strömung unter Alfano, der viele PDL-Senatoren hinter sich weiß.

tagesschau.de: Berlusconi hat am Ende vor der Vertrauensfrage sogar für Letta geworben. Ist Berlusconi nur am Widerstand in seiner Partei gescheitert?

Vastano: Nein. Dass Berlusconi doch eingeknickt ist, hat auch wirtschaftliche Gründe. Berlusconi weiß, dass sich Neuwahlen negativ auf die Wirtschaft Italiens und die Börsen ausgewirkt hätten - auch der Unternehmer Berlusconi hätte dann Geld verloren. Politik und Unternehmertum, das gehört für ihn zusammen.

"Berlusconi weiß, wie man sich neu erfindet"

tagesschau.de: Es ging Berlusconi bei dem Versuch, die Regierung zu stürzen  - wie auch Parteifreunde zugeben -  nicht um politische Themen, sondern darum, seinen Ausschluss aus dem Senat zu verhindern. War das nun endgültig das Ende seiner Karriere?

Vastano: Nein. Berlusconi hat ja schon angekündigt, zur Not in einer außerparlamentarischen Opposition weiterzumachen. Er will sich mit einer neuen Partei zurück ins Spiel bringen. Berlusconi weiß, wie man sich neu erfindet. Alfanos Emanzipation hat Berlusconi aber überrascht. Das ist ein kleines politisches Erdbeben für Italien. Am Ende ist Berlusconi aber noch lange nicht. Er kann auf die Zustimmung von 20 Prozent der Italiener vertrauen. Das ist nun mal die Realität.

tagesschau.de: Außerhalb Italiens wundern sich viele über diese "Realität" und fragen sich, wie ein einzelner Mann - aller Skandale zum Trotz - über die Jahre so viel Macht auf sich versammeln konnte. Was sind die Gründe dafür?

Vastano: Das ist schon eine große politische Anomalie innerhalb Europas. Man kann das vielleicht ein wenig verstehen, wenn man schaut, welche große Macht das Imperium Berlusconi auf sich vereint. Er besitzt Fernsehsender und große Verlage, mit denen er seine Positionen unter das Volk bringen kann. Über 20 Jahre hat er das Leben der Italiener auf allen Kanälen geprägt. Zudem trifft Berlusconi mit seiner Aversion gegen den Staat, zum Beispiel wenn es um das Thema Steuern geht, den Nerv vieler Menschen. Steuerhinterziehung ist in Italien fast ein Volkssport - und Berlusconi brilliert darin. Er profitiert also von einer Ablehnung der Staatsbürokratie, die in der italienischen Bevölkerung lange Tradition hat.

tagesschau.de: Am Freitag entscheidet der Senat nun über Berlusconis Senatsausschluss, der als wahrscheinlich gilt. Ist damit Italiens Regierungskrise beendet?

Vastano: Das hoffe ich. Wenn sich tatsächlich bestätigt, dass PDL-Chef Alfano dauerhaft von Berlusconi abrückt, dann hätte Premier Letta eine solidere Basis für seine Arbeit. Man kann nur hoffen, dass sich die Lage beruhigt und wir aus der politischen Dauerkrise der letzten fünf Monate herauskommen. Bisher gab es kein Thema, ob Steuer oder Bildung, über das in unserer Großen Koalition nicht gestritten wurde.

tagesschau.de: In der Nachkriegszeit hatte Italien bereits 60 Regierungen. Die Eurokrise hat die politische Krise in Italien verschärft. Ist das Land überhaupt noch regierbar?

Vastano: Ja. Ich denke dabei an die Zeit unter Romano Prodi oder auch Mario Monti - auch wenn sie nicht lange an der Macht waren. Diese Politiker haben für eine gewisse Stabilität gesorgt. Ich hoffe, dass auch Letta nun solide arbeiten kann.

Explodierende Mieten, Bildungssystem am Boden

tagesschau.de: Bei all dem Getöse um Berlusconi geraten die wirtschaftliche Probleme Italiens in den Hintergrund. Welche Probleme will die Regierung Letta angehen?

Vastano: Die Einhaltung der europäischen Stabilitätskriterien zu erreichen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben Lettas. Er muss die explodierenden Mietpreise in den Griff bekommen und sich um das Bildungssystem kümmern, das unterfinanziert ist. Zudem will er die Immobiliensteuer reformieren. Wichtigste Aufgabe bleibt aber die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

tagesschau.de: Wie geht es weiter, wenn Letta scheitert?

Vastano: Ich glaube nicht, dass das in den nächsten Monaten passieren wird. Wenn doch, wird es einmal mehr Wahlen geben. Das Problem ist aber, dass unserer Wahlrecht es so schwer macht, Regierungsmehrheiten zu finden. Das ist einer der wichtigsten Gründe für die politische Instabilität in Italien.

Das Interview führte Peer Junker, tagesschau.de