Luxemburgs Premier warnt große EU-Länder Standpauken nützen nichts

Stand: 17.06.2008 09:47 Uhr

Nach dem gescheiterten Referendum zum EU-Vertrag in Irland wächst der Druck auf die Regierung in Dublin. Luxemburgs Ministerpräsident Juncker warnte vor dieser Entwicklung. Er warf den großen EU-Staaten fehlende Sensibilität vor. Die Krise könne nur gemeinsam überwunden werden.

Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker warnt davor, Irland nach dem Nein-Votum zum Lissabon-Vertrag unter Druck zu setzen oder zu isolieren. "Ich bin darüber beunruhigt, dass es vor allem großen EU-Staaten an Sensibilität gegenüber Irland fehlt", sagte er der "Financial Times Deutschland".

EU-Reformvertrag

"Wir überwinden die Krise nicht, wenn wir den Iren Standpauken halten oder sie in die Ecke stellen."

Er halte es "für verhängnisvoll, wenn wir Irland ausgrenzen würden", sagte Juncker. Es sei "arrogant", den Iren zu sagen, ihr Votum zähle nicht, weil es aus einem kleinen Land komme. Der luxemburgische Regierungschef wies darauf hin, ein "Spezialist für kleine Staaten" zu sein. "Sie mögen es nicht, wenn die Großen ihnen Lektionen erteilen". Die EU müsse mit Irland gemeinsam einen Weg aus der Krise finden.

Verzögerungen beim Reformvertrag?

Juncker stellte in der Zeitung "Die Welt" klar, dass der Reformvertrag nicht wie geplant zum 1. Januar 2009 in Kraft treten wird. "Es wird also zum Beginn des kommenden Jahres keinen neuen EU-Ratspräsidenten, der für zweieinhalb Jahre amtiert, keinen neuen Hohen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik und keinen neuen Europäischen Diplomatischen Dienst geben", sagte er dem Blatt.

Zugleich betonte Juncker, dass die Verzögerungen auch eine Verkleinerung der EU-Kommission erforderlich machten: "Sollte der Lissaboner Reformvertrag nicht in Kraft treten, muss die EU-Kommission laut des Vertrags von Nizza, der ja dann immer noch gültig ist, mit derzeit 27 Kommissaren ab 2009 verkleinert werden. Dann wird nicht mehr jedes Land einen eigenen Kommissar haben."

Pöttering sichert Irland Hilfe zu

Dagegen verfolgt der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, weiter das Ziel, dass der Vertrag von Lissabon noch vor der Europawahl 2009 in Kraft treten kann. Er sicherte Irland in der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse" zu, dass das EU-Parlament alles tun werde, um bei der Bewältigung der Krise zu helfen. "Das braucht ein wenig Zeit und eine gründliche Analyse", sagte Pöttering.

Keine Sonderrechte, keine Vollmitgliedschaft?

Auf eine rasche Klärung der Situation pocht dagegen EU-Industriekommissar Günter Verheugen. Nachverhandlungen mit Irland lehnt er kategorisch ab: "Die Iren haben von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, Nein zu sagen. Aber klar ist auch: Sonderregelungen im Nachhinein kann es für sie nicht geben. Es geht in der EU nicht, dass alle die neuen Spielregeln akzeptieren, aber ein Land abseits steht.", sagte er der "Bild"-Zeitung.

Im selben Blatt meinte der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten und Sozialisten im Europäischen Parlament, Martin Schulz (SPD): "Wenn alle anderen EU-Staaten ratifizieren und die Iren keine Lösung präsentieren, stellt sich automatisch die Frage nach ihrer Vollmitgliedschaft."

Ratifizierung der EU-Reformen

Der auf dem Gipfeltreffen in Lissabon im Dezember 2007 unterzeichnete Vertrag zur Reform der Europäischen Union soll Anfang 2009 in Kraft treten. Bis dahin muss er von allen 27 Mitgliedstaaten der EU ratifiziert werden. Je nach nationalem Recht gibt es dafür unterschiedliche Verfahren. Bereits ratifiziert haben den Vertrag: Ungarn, Slowenien, Malta, Rumänien, Frankreich, Bulgarien, Polen, die Slowakei, Portugal, Dänemark, Österreich, Lettland, Litauen, Luxemburg, Finnland, Estland und Griechenland. In Deutschland wurde der Vertrag trotz der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat noch nicht ratifiziert. Das Bundesverfassungsgericht muss nach Klagen entscheiden, ob Bundespräsident Horst Köhler das Zustimmungsgesetz unterzeichnen darf. In den Niederlanden gab es am 5. Juni die Annahme im Unterhaus des Parlaments. Die für den Abschluss der Ratifizierung noch fehlende Zustimmung des Senats gilt als Formsache. In Tschechien hat die zweite Parlamentskammer ihre Abstimmung am 24. April verschoben. Dort soll erst das Verfassungsgericht über die Vereinbarkeit mit tschechischem Recht entscheiden.
Auch in Großbritannien, Schweden, Belgien, Spanien, Italien und Zypern stehen die Zustimmungen noch aus. Nach dem Nein der irischen Volksabstimmung ist aber vieles offen.

Spannung vor dem Gipfel

Das Ringen um eine Lösung aus der Krise nach dem gescheiterten Referendum in Irland wird am Donnerstag im Mittelpunkt des EU-Gipfels in Brüssel stehen, den die EU-Außenminister am Montag in Luxemburg vorbereitet hatten.

Mit Spannung wird die Erklärung des irischen Ministerpräsident Brian Cowen erwartet, der sicherstellen will, dass Irland in der EU nicht diplomatisch isoliert wird. Er sieht die Ablehnung des Vertrags von Lissabon durch seine Landsleute als ein Problem, mit dem sich die gesamte EU befassen müsse.