
Mord an Atomwissenschaftler Iranische Regierung beschuldigt Israel
Stand: 28.11.2020 02:13 Uhr
Im Iran ist ein hochrangiger Atomwissenschaftler einem Attentat zum Opfer gefallen. Die Hintergründe sind noch unklar. Teheran sieht Israel hinter dem Anschlag, der die Region weiter destabilisieren könnte.
Von Karin Senz, ARD-Studio Istanbul
Eine zerschossene Windschutzscheibe einer dunklen Limousine, Trümmerteile und Blut auf der Straße – diese Bilder dominieren die iranischen Nachrichten seit gestern Nachmittag. Mohsen Fachrisade ist mit seinen Bodyguards auf dem Weg von der Kleinstadt Absard nach Teheran, schildert Verteidigungsminister Amir Hatami den Tathergang am Abend: "Zuerst wurde auf sein Auto geschossen, und nach etwa 10 bis 15 Sekunden ist ein Nissan mit Sprengstoff etwa 15 bis 20 Meter von seinem Auto entfernt explodiert. Er wurde verletzt."
So schwer, dass er kurz darauf im Krankenhaus stirbt. Alireza Yavari von der Universität Teheran reagiert im Fernsehsender Al Dschasira harsch: "Herr Fachrisadeh war ein respektierter integrer Wissenschaftler, ein Universitätsprofessor, der mit der zivilen und militärischen Industrie zusammengearbeitet hat, wie viele andere Wissenschaftler weltweit. Der Mord an ihm kann nicht als Verteidigung gewertet werden, weil er keinen aktiven Posten beim Militär hatte. Darum ist das Terrorismus, und das ist zu verurteilen."
Mord an iranischem Atomphysiker mit weitreichenden Konsequenzen
tagesthemen 21:45 Uhr, 27.11.2020, Katharina Willinger, ARD Istanbul
Fachrisadeh war Kernphysiker. Er gilt als Vater des iranischen Atomprogramms. Offiziell wurde das Anfang der 2000er-Jahre eingestellt. Zuletzt leitete der 63-jährige die Abteilung für Forschung und technologische Erneuerung im Verteidigungsministerium. Er sei einen Märtyrertod gestorben, heißt es im Iran. Es war nicht das erste Attentat auf ihn.
Iranischer Außenminister beschuldigt Israel
Der iranische Außenminister Zarif schreibt auf Twitter von verzweifelter Kriegstreiberei der Täter und von einer feigen Tat – mit ernstzunehmenden Anzeichen einer Rolle Israels. Geschürt wird dieser Verdacht von einer Aussage des israelischen Präsidenten Benjamin Netanyahu. 2018 ließ er sich im Fernsehen ausführlich über die Rolle Fachrisadeh aus und mahnt: "Merken Sie sich den Namen Mohsen Fachrisadeh."
Bekannt hat sich zu dem Angriff bis jetzt niemand. Israel wird allerdings schon länger verdächtigt, zwischen 2010 und 2012 vier iranische Atomwissenschaftler ermordet zu haben. Es fühlt sich durch das Atomprogramm in seiner Existenz bedroht.
Welche Rolle spielen die USA?
Die US-Nahost-Expertin Hillary Mann Leverett geht im Al-Dschasira-Interview beim aktuellen Attentat noch weiter: "Es gibt gute Gründe, Israel zu verdächtigen, und vielleicht sind sogar die USA darin verwickelt. Schließlich haben Offizielle in den USA angekündigt, dass sie die Zeit vor dem Ende der Trump-Regierung und dem Beginn der Biden-Regierung nutzen, um den Iran mit allen Mitteln zu bestrafen und seine Fortschritte im atomaren Bereich und anderen Bereichen zu stoppen."
Der aktuelle Angriff auf Fachrisadeh erinnert an die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani vergangenen Januar. Damals machte US-Präsident Donald Trump keinen Hehl daraus, dass er den Angriff angeordnet hatte. Das führte fast zum Krieg zwischen beiden Ländern. Erst vor kurzem erwog Trump, eine Atomanlage im Iran anzugreifen.
Sein Nachfolger Joe Biden plant dagegen zu einem Atomabkommen mit dem Iran zurückzukommen: "Ich denke, man will Spannungen schüren, vor allem in dieser Interimsphase zwischen dem Ende der Trump-Regierung und dem Beginn der Biden-Regierung."
Spannungen in der Region könnten sich verschärfen
Im Iran werden die Rufe nach Rache lauter. Alireza Yavari von der Universität Teheran weist im Sender Al-Dschasira noch auf eine andere Gefahr hin: "Einige Länder in der Region könnten den Iran zu einer militärischen Konfrontation drängen. Das könnte die Spannungen weiter verschärfen, sodass der Iran und die USA keine gemeinsame Basis finden."
Die Antwort des Iran hänge davon ab, wer hinter dem Mord stecke, meint Yavari. "Wenn sich herausstellt, dass es ein ausländischer Geheimdienst war, dann verkompliziert das die Lage. Und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es dann eine adäquate militärische Antwort geben wird."
Das dürfte es Präsident Hassan Rohani schwerer machen mit Biden an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Nicht nur Israel, sondern auch die Hardliner im Iran wollen das unbedingt verhindern.
Iranischer Atom-Wissenschaftler ermordet - Israel unter verdacht
Karin Senz, ARD Istanbul
28.11.2020 06:28 Uhr
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