Situation der Irak-Flüchtlinge Letzte Hoffnung Europa?

Stand: 27.11.2008 17:11 Uhr

Laut dem UN-Flüchtlingskommissariat sind derzeit rund zwei Millionen Iraker auf der Flucht vor Verfolgung und Gewalt - vor allem Christen. Rund 60.000 von ihnen könne eine Rückkehr in die Heimat nicht zugemutet werden. Sie brauchen eine neue Heimat.

Von Felix de Cuveland, Amman

Von Felix de Cuveland, ARD-Hörfunkstudio Amman

Europa oder die USA. Eine Ausreise dorthin und ein Leben dort ist für viele Vertriebene und Flüchtlinge aus dem Irak ein Wunschtraum. Es ist ein Traum von einem Leben unter menschenwürdigen Bedingungen, fern von religiöser und ethnischer Verfolgung. Doch in den seltensten Fällen wird aus der Sehnsucht Wirklichkeit.

Die meisten der schätzungsweise 2,7 Millionen im Ausland untergekommenen Heimatlosen leben in Syrien und Jordanien - oft unter schwierigsten Bedingungen. Beide Länder sind trotz guten Willens mit der großen Anzahl der Flüchtlinge überfordert. In vielen Stadtvierteln platzen Schulen und Kindergärten aus den Nähten. Eine Arbeitserlaubnis bekommen die Exil-Iraker fast nie, so schuften sie illegal zu Niedriglöhnen im Baugewerbe und übernehmen Gelegenheitsarbeiten - wenn sie überhaupt Arbeit finden.

Kein Erfolg für Rückkehr-Programm

Doch trotz der elenden Lage, zurück in den Irak wollen die wenigsten - zurzeit jedenfalls nicht. Das Rückkehr-Programm der Regierung in Bagdad, das eine kostenfreie Heimreise sowie finanzielle Hilfen und Unterstützung bei der Jobsuche verspricht, schlägt nicht recht an. Das muss auch der zuständige Minister Abdul Samad Sultan einräumen: "Es wird seine Zeit brauchen, bis sie zurückkehren – aber früher oder später werden die meisten schon kommen. Wir müssen unsererseits alles tun, um eine möglichst rasche Rückkehr zu ermöglichen."

Nach offiziellen irakischen Angaben sind seit Jahresbeginn gerade mal 8000 Flüchtlinge heimgekehrt. "500 Dollar? Das reicht nicht. Wir haben alles verloren, unser Haus, unseren ganzen Besitz. Denken Sie an die schlechte Versorgungslage im Irak", sagt Fatma, die in der syrischen Hauptstadt Damaskus lebt. Die Rückkehrprämie kann sie nicht locken. Es gebe keinen Strom, kein sauberes Wasser. Trinkwasser müsse man kaufen. "Es gibt keine Stabilität, keinen inneren Frieden, keine Sicherheit."

Bis zu drei Millionen Binnenflüchtlinge

Ähnlich sieht es Ahmed, der in Jordanien zu überleben versucht. In die Heimat will er nicht zurück – wohin sollte er dort auch gehen? "Der schlimmste meiner Alpträume ist Wirklichkeit geworden. Meine Familie wurde getötet, mein Haus hat man mir genommen und alles, was darin war, gestohlen. Ich habe alles verloren."

Es gibt nicht mal ansatzweise eine Garantie dafür, dass Flüchtlinge wie Ahmed oder Fatma sich eine neue Existenz im Irak aufbauen können. So leben heute nur noch wenige Christen im Stadtviertel Dora im Süden Bagdads, wo es früher eine große christliche Gemeinde gab. Schiiten haben Christen vertrieben, Sunniten sind gegen Schiiten vorgegangen, Kurden haben Sunniten verfolgt - und das alles ist noch nicht vorbei. Zwei bis drei Millionen sogenannte Binnenflüchtlinge gibt es im Irak. Sicherheit? Der UNO-Sonderbeauftragte ist skeptisch: "Der Irak ist nicht die Schweiz. Die Sicherheitslage hat sich zwar gebessert, aber noch kann sich das ändern und wieder schlechter werden", sagt Staffan de Mistura.

Sicherheit auch ohne die Amerikaner?

Fast 150.000 US-Soldaten und ungezählte private Sicherheitsleute sind im Irak stationiert. Sollten die USA in absehbarer Zeit mit ihrem Abzug beginnen, wird sich erweisen, ob die irakischen Soldaten und Polizisten allein für mehr Sicherheit sorgen können – in einem Land, in dem die Milizen Hunderttausende unter Waffen haben. In einem Land, in dem Stämme, Clans und Religionsgemeinschaften mehr gegeneinander als miteinander agieren. In einem Land, in dem es um Öl und Einfluss-Sphären geht - Iran, USA, Türkei, Saudi-Arabien. Tatsachen, die die Zweifel und Ängste der Flüchtlinge verständlich machen.