
Machtkampf im Irak Parlament in Bagdad bleibt besetzt
Tausende Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr campieren weiter im Parlament. Beobachter warnen: Sollte es jetzt auch nur zu einer kleinsten Gegenoffensive kommen, sei eine Eskalation der Gewalt wahrscheinlich.
Dutzende Männer tanzen im Kreis, bilden eine Art Polonaise und singen. Sie schwenken Flaggen, halten Bilder hoch. Andere haben sich auf Matten niedergelassen und schlafen. Die scheinbar friedlichen Szenen sind ein trügerisches Bild - denn der Ort dafür ist kein anderer als das irakische Parlament.
Was hier passiert, ist hochgefährlich. Tausende Anhänger des einflussreichen schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr campieren immer noch im Gebäude. "Wir als Volk haben einen Anführer und wir folgen bedingungslos den Befehlen", so ein Demonstrant. "Wenn er uns sagt, dass wir uns zurückziehen sollen, machen wir das, aber wenn er sagt, dass wir bleiben sollen, dann bleiben wir - so Gott will."

Hunderte Anhänger des schiitischen Geistlichen al-Sadr haben das irakische Parlamentsgebäude besetzt. Mit den Protesten will die al-Sadr-Bewegung verhindern, dass ihre politischen Gegner um Ex-Regierungschef al-Maliki eine Regierung bilden können.
Die Lage im Irak ist Beobachtern äußerst angespannt: Sollte es jetzt auch nur zu einer kleinsten Gegenoffensive kommen, sei eine Eskalation der Gewalt sehr wahrscheinlich. Bislang setzen Sicherheitskräfte lediglich Tränengas und Wasserwerfer ein, mehr als 100 Menschen wurden verletzt.
Sitzstreik: Kein Ende abzusehen
Die Demonstranten waren am Samstag in die grüne Zone Bagdads eingedrungen und hatten bereits zum zweiten Mal in dieser Woche das Parlament gestürmt – Betonwände wurden einfach niedergerissen. Die Anhänger al-Sadrs kündigten einen unbegrenzten Sitzstreik im Parlament an und erklärten, so lange zu bleiben bis ihre Forderungen erfüllt seien.
Im Irak herrscht ein erbitterter Machtkampf innerhalb der Bevölkerungsmehrheit – Schiiten gegen Schiiten. Die einen sind für einen Einfluss des Nachbarlands Iran, die anderen – sprich die Anhänger von Muktada al-Sadr – lehnen eine Einmischung von außen ab.
Rückzug ebnet Rivalem Weg
Eigentlich hatte al-Sadr bei den Parlamentswahlen im vergangenen Oktober die meisten Stimmen erhalten, doch es gelang ihm nicht, eine Regierung zu bilden. Nach monatelangem Stillstand zog sich der religiöse Führer mit seinen Abgeordneten im Juni frustriert aus dem Parlament zurück - und verschaffte damit seinen Rivalen unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten al-Malikis die benötigte Mehrheit.
Als diese jetzt einen neuen Premier wählen wollten, ließ al-Sadr seine Leute aufmarschieren - wohl um wieder einmal zu beweisen, welche Macht er im Irak besitzt und dass er es schafft, die Massen zu mobilisieren.
Al-Sadrs politische Gegner versuchen jetzt zu beschwichtigen, um eine Eskalation der Gewalt zu vermeiden: "Sie rufen zum Dialog auf", so Wael el-Rekaby von der irakischen Beobachtungsstelle für Nationale Medien. Alle haben die Botschaft verstanden - die momentane Lage kann schwere Folgen für den Irak haben. Deshalb haben al-Sadrs Kontrahenten klar gesagt, dass sie gegen jede Eskalation sind, die zu Zusammenstößen führen kann.
Regierungsbildung unklar
Doch al-Sadr ließ am Nachmittag verkünden, dass er Verhandlungen ablehne. Die Besetzung des Parlaments gehe unvermindert weiter. Wie in diesem Chaos überhaupt eine neue Regierung entstehen soll, ist völlig unklar. Und viele Beobachter fürchten eine neue Welle der Gewalt im Irak.