Interview

Interview zu den Folgen des 11.9.2001 "Wir müssen weiter wehrhaft bleiben"

Stand: 10.09.2011 12:34 Uhr

Mit dem sogenannten Patriot Act reagierte die US-Regierung auf die Anschläge vom 11.9.2001. Er schränkte die Rechte von Bürger ein und weitete die der Sicherheitsbehörden aus. Wie sieht zehn Jahre danach die Bilanz aus? Darüber sprach tagesschau.de mit Viet Dinh, einem der Väter des Gesetzes.

tagesschau.de: Herr Dinh, im Jahr 2004 sagten Sie, es sei selbstverständlich, dass der so kurz nach 9/11 verfasste und umstrittene Patriot-Act noch immer nötig sei. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen. Hat sich an Ihrer Position etwas geändert? 

Viet Dinh: Ich denke, die Jahre haben gezeigt, dass das Gesetz sich bewährt hat, denn kein Gericht hat es als verfassungswidrig kassiert, und der Kongress hat es mehrmals bestätigt. Es steht also juristisch und demokratisch außer Frage. Ob es auch noch nötig ist? Die Antwort ist: Ja. Denn jeder Tag, an dem nichts passiert, ist ein guter Tag angesichts der Bedrohungen, denen wir ausgesetzt sind. Wir müssen weiterhin wehrhaft sein.

Zur Person

Professor Viet Dinh war von 2001 bis 2003 Assistent unter Generalstaatsanwalt John Ashcroft in den USA. Nach dem 11. September 2001 verfasste er den sogenannten "Patriot Act", ein Gesetz, das zur Terrorismusbekämpfung die Bürgerrechte einschränkt. Dinh wurde 1968 in Saigon im früheren Süd-Vietnam geboren. 1978 emigrierte seine Familie über Malaysia in die USA. Er studierte an der Elite-Universität Harvard Jura und Wirtschaft und schloss sein Studium 1990 mit der höchsten Auszeichnung "Magna cum Laude" ab. Heute unterrichtet Dinh an der Georgetown University.

tagesschau.de: War es dann rückblickend falsch, die Anti-Terror-Gesetze als vorübergehend darzustellen? 

Dinh: Wir haben das nie getan. Tatsächlich gingen wir schon damals davon aus, dass der Kampf gegen den Terror lange andauern würde und zu einer neuen Normalität würde.  

tagesschau.de: Warum waren die Gesetze dann befristet? 

Dinh: Wir wollten sicher sein, dass Bevölkerung und Kongress sie auch in Ruhe betrachten könnten und nicht nur in der emotional aufgeladenen Situation nach den Anschlägen. 

tagesschau.de: Trifft das auch auf andere Maßnahmen zu? 

Dinh: Der große Vorteil des Patriot Act war in der Tat, dass er das Gesetzgebungsverfahren bestand, also der Kongress Anteil daran hatte. Dieser Luxus galt nicht für alle Maßnahmen nach 9/11. Manche ergaben sich aus der Kriegssituation, manche direkt aus Anordnungen des Präsidenten. Was nicht heißt, dass sie anders ausgefallen wären, sondern nur, dass wir die Gelegenheit nicht hatten, breiten Konsens zu suchen. Natürlich gibt es dann auch mehr Kontroversen. Sie sehen aber am Beispiel Guantanamo, dass es am Ende nicht sehr viele Möglichkeiten gibt, Dinge anders zu machen. Trotz aller Reden, Parteilagern und ideologischen Kämpfen.

"Die USA foltern nicht"

tagesschau.de: Heißt das, Sie sehen gar keinen Unterschied zwischen Bushs Position, wonach beispielsweise Waterboarding legal sei, und Obamas Vorgabe, es sei Folter und damit verfassungswidrig?

Dinh: Es gibt immer die Möglichkeit, auf demokratische Weise Feinheiten zu verändern. An der Grundrichtung ändert das nichts. Dass die USA nicht foltern, ist ein Grundsatz. 

tagesschau.de: Heißt das, auch für Sie ist Waterboarding keine Folter? 

Dinh: Ich habe mich damit nicht genügend befasst. 

tagesschau.de: Ich bitte Sie, wer sollte Ihnen das abnehmen? Sie waren Rechtsexperte beim Generalstaatsanwalt. 

Dinh: Ich bin Fachmann für demokratische Prozesse, aber nicht für alles.

tagesschau.de: Sie werden doch eine Meinung haben. 

Dinh: Ich beschränke ich mich als Experte auf das, was ich studiert habe und woran ich persönlich teilhatte.  

tagesschau.de: Das dürften Ihnen unsere Leser oder Zuschauer kaum abnehmen. Es gibt doch nicht nur Präsidenten, die mal eben sagen, für mich ist das Folter und für mich ist es keine. Es gibt beispielsweise auch die Genfer Konvention.    

Dinh: Jeder, auch mein Fahrer hat dazu eine Meinung… 

tagesschau.de: …Sie ja offenbar nicht... 

Dinh: …ich habe eine, aber die ist nicht wichtiger als Ihre. Die Kompetenz, die man mir zu Unrecht unterstellen würde, wäre gewichtig. Es ist sicherlich nicht nötig, die Debatte anzuheizen. Es gibt sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich respektiere jeden, der seine eigene dazu hat.  

 

Stichwort: Waterboarding

Beim Waterboarding wird das Ertrinken des Verhörten simuliert: Dabei wird die Atmung des Opfers extrem erschwert, indem diesem ein Tuch über Mund und Nase gelegt und dieses ständig mit Wasser übergossen wird. Beim Opfer setzt so der natürliche Würgereflex ein, es entsteht der Eindruck, zu ertrinken. Durch eine Schieflage des Körpers wird aber verhindert, dass tatsächlich Wasser in die Lungen eindringt. Waterboarding hinterlässt üblicherweise keine direkten körperlichen Schäden, kann aber zu beträchtlichen psychischen Problemen führen.

Die Verhörmethode wird seit der spanischen Inquisition eingesetzt und ist in vielen Ländern verboten. In den USA wurde Waterboarding unter George W. Bush vor allem im Gefangenenlager Guantanamo angewendet. Die Regierung beharrte trotz internationaler Kritik darauf, dass es sich nicht um Folter handelt. Bushs Nachfolger Barack Obama verbot Anfang 2009 das Waterboarding.

tagesschau.de: Haben Sie den Wunsch des heutigen Generalstaatsanwalts Eric Holder verstanden, die Gefangenen von Guantanamo vor US-Zivilgerichten anzuklagen? 

Dinh: Absolut. Wir glauben fest daran, dass unsere Justiz effizient und gerecht ist. Deshalb stimme ich mit ihm überein.

tagesschau.de: Der Kongress fand dennoch Wege, Obamas Plan zu blockieren, die Insassen in Inlandsgefängnisse zu verlegen und ihnen auch im Inland den Prozess zu machen. 

Dinh: Dazu hat er nun mal das Recht. So ist das in einer Demokratie. 

tagesschau.de: Hat Sie das dann enttäuscht?   

Dinh: Nein. Ich habe Holders Vorhaben, die Prozesse nach New York zu holen, letztlich nicht unterstützt, so sehr ich ihn auch verstand. Es war auch gar keine Konfrontation zwischen Präsident und Kongress, sondern eine zwischen Präsident und New York. Die Stadt hätte den Preis bezahlt, was ihre Sicherheit angeht, während der Präsident den politischen Vorteil verbucht hätte.

Stichwort: Patriot Act

Der sogenannte "Patriot Act" wurde vom amerikanischen Kongress kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet. Das Gesetz schränkt die Rechte von US-Bürgern, aber auch von Ausländern in den USA, ein. Die Befugnisse der Bundespolizei FBI und des Geheimdienstes CIA wurden dagegen stark ausgeweitet - unter anderem erhielt der Geheimdienst, der keiner transparenten öffentlichen Kontrolle unterliegt, das Recht, im Inland zu ermitteln. Bis heute sind die meisten Bestimmungen des Patriot Acts, wenn auch in Teilen leicht modifiziert, in Kraft. Zuletzt verlängerte der US-Kongress im Mai dieses Jahres drei Bestimmungen des Gesetzes bis 2015.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie insgesamt Obamas politische Möglichkeiten, wenn die konservative Abgeordnetenhausmehrheit unter dem Druck des rechten Flügels selbst die besten Vorschläge blockiert wie zuletzt im Streit um das Schuldenlimit?  

Dinh: Sicherlich gibt es da Gräben und sogar Stillstand, mehr als vor zehn Jahren. Wir waren ja nach 9/11 alle auf einer Linie und sehr effizient, obwohl viele von außen nicht gerne sahen, welche Richtung das Land aus ihrer Sicht nahm. Nun haben wir umso mehr Auseinandersetzungen, vielleicht sogar als Resultat davon. Wenn der Präsident einen Konsens herstellen kann, ist das aber auch effizient. Der Präsident hat das zuletzt nicht vermocht. Dass er dann blockiert wird, sieht das Präsidialsystem als Möglichkeit vor.

tagesschau.de: Ist das nicht zu einfach, immer allein den Präsidenten haftbar zu machen? 

Dinh: Nein. Er führt nun mal das Land, mit Macht, Moral und Autorität, auch wenn ihm die Leute mehr Macht unterstellen, als er tatsächlich hat. Die Wähler werden ihn am Ende haftbar machen, egal ob es seine Schuld war oder nicht.  

Das Gespräch führte Klaus Scherer, ARD-Studio Washington

Weitere Informationen sendet die ARD in der Sendung "Weltspiegel" am 11.9.2011 um 19.20 Uhr.

Das Interview führte Klaus Scherer, NDR