Interview

US-Sonderbotschafter zum Einsatz in Libyen "Womöglich kommen Spezialkräfte zum Einsatz"

Stand: 08.04.2011 12:50 Uhr

Die USA wollen bislang keine Bodentruppen nach Libyen schicken. Falls es aber doch dazu kommt, müsse man vorbereitet sein, sagt der ehemalige Antiterror-Koordinator im US-Außenministerium. Dabei helfe die Arbeit von Geheimdiensten, sagt er im Interview mit tagesschau.de. Das Gespräch führte ARD-Korrespondent Klaus Scherer.

tagesschau.de: Herr Botschafter, Sie haben reichhaltige Erfahrung aus vielerlei Kriegen und Krisen, in die Amerika involviert war. Gibt es ein Beispiel für das, was gerade in Libyen geschieht?

Dell L. Dailey: Libyen ist eine Ausnahme. Sowohl was den Charakter der Herrscherfamilie um Gaddafi betrifft, als auch mit Blick auf die konfuse Lage der Rebellen. Der Hauptunterschied zu den erfolgreichen Revolten in Tunesien und Ägypten ist aber, dass sich dort das Militär geweigert hat, auf das eigene Volk zu schießen. In Libyen ist das anders.

Zur Person

US-Sonderbotschafter Dell L. Dailey war bis April 2009 Antiterror-Koordinator im Aussenministerium der US-Regierung George W. Bushs. Seit kurzem berät er das Obama-nahe Center for New American Security. Als junger US- Soldat war er unter anderem nahe Fulda stationiert.

tagesschau.de: Was sind in solchen Situationen üblicherweise die nächsten Schritte?

Dailey: Zum Beispiel kann die US-Regierung den Geheimdienst anweisen, aktiv zu werden. Ich würde vermuten, dass das geschehen ist. Man schaut auf die Rebellen in Libyen und auf die Stärke von Gaddafis Truppen. Dann schicken die Dienste Vorschläge zurück, wie man durch paramilitärische Aktionen Einfluss nehmen kann. Diese sind erfahrungsgemäß sehr gut ausgestattet und trainiert. Womöglich kommen dann also Spezialkräfte zum Einsatz. Wir haben ja nur gesagt, dass wir keine militärischen Bodentruppen entsenden. Das hieß nicht, dass wir auch keine zivilen Kräfte schicken. 

tagesschau.de: Was heißt das? Was tun die dort?

Dailey: Wenn sie ihre Lagebeurteilungen abgegeben haben, wissen wir, wie viele sprachkundige Leute zu Stämmen oder Klans oder anderen Gruppen gehen müssen. So haben wir das auch in Afghanistan gemacht, mit Hilfe der Nord-Allianz. Auch dort hieß es zunächst, dass es keine US-Bodentruppen geben soll. Aber falls die Entscheidung dann doch kommt, wäre ihr Einsatz vorbereitet.  

tagesschau.de: Welche Ausrüstung haben die sogenannten zivilen Kräfte?

Dailey: Die kommen mit Taschen voller Geld, mit Waffensystemen und Munition, meist osteuropäischer Herkunft. Und sie kennen sich in der Kultur und der Sprache aus, können sich also schnell integrieren. Extrem wichtig ist es, eine Versorgungskette aufzubauen. Es ist schon schwer, an Waffen und Munition zu kommen. Aber es ist noch schwerer, sie zuverlässig zu befördern. Im Fall Libyen erwarte ich, dass Militärmaschinen beides zunächst nach Ägypten schaffen. Von dort dürfte es über die Grenze gebracht werden, über Bengasi bis zu den Rebellen.

tagesschau.de: Wer ist darüber informiert? Andere Regierungen?

Dailey: Absolut. Das ist eine NATO-Mission. Ihre Sondereinsatzkräfte waren so auch in Afghanistan erfolgreich. Das ist ein Potenzial, das genutzt werden kann. Zudem gibt es im Fall Libyen arabische Länder, die mitmachen können, Kräfte also, die sich in Libyen viel leichter integrieren lassen.  

tagesschau.de: Glauben Sie, dass mit Gaddafis Umfeld verhandelt wird?

Dailey: Mit Sicherheit. Es gibt drei Arten von Druck, die derzeit auf ihm lasten. Erstens der militärische Druck von Rebellen und NATO. Zweitens die diplomatischen Aktivitäten. Drittens das Beschneiden seiner Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Dass sich Leute wie Moussa Koussa absetzten, zeigt die Meinungsverschiedenheiten in seinen Reihen. Das ist gefährlich für ihn.

tagesschau.de: Hillary Clinton sprach früh von Anzeichen, dass Gaddafi Ausschau halte nach einem Fluchtland. Ist das etwas, was sie auch sagt, wenn es nicht stimmt?

Dailey: Es gibt immer auch eine gewisse Menge an, sagen wir: Fehlinformationen, um in Gaddafis eigenen Reihen Verwirrung zu stiften. Ich weiß nicht, ob Hillary Clinton das getan hat. Aber wenn, dann wäre es scharfsinnig von ihr gewesen.

tagesschau.de: Wie beeindruckt sind Sie vom Erscheinungsbild der NATO?

Dailey: Sie reagierte tatsächlich schneller, als ich es mir je erträumt hatte. 

tagesschau.de: Haben Sie erwartet, dass Deutschland sich in der Libyen-Frage eher Russland  und China anschließen würde als seinen westlichen Partnern?

Dailey: Nein. Ich hatte erwartet, dass sich Deutschland den Alliierten anschließt. Dass sie im Team sind.

tagesschau.de: Wie reagierten andere in US-Sicherheitskreisen?

Dailey: Ich habe nichts anderes gehört als Enttäuschung. Mehr kann ich nicht darüber sagen.

tagesschau.de: Was erwarten Sie in Libyen als nächstes?

Dailey: Ich glaube, es wird zu einem Kräfte-Patt im Zentrum des Landes kommen. Manche Aktionen werden hinter der Front weitergehen, abgesichert durch unsere Luftwaffe und die der NATO. Waffenlieferungen kommen von Ägypten aus herein, die Rebellen haben ein bisschen mehr Selbstsicherheit. Aber es ist immer noch eine Art Pick-Up-Truppe. Trotzdem halte ich sie für stark genug, um sich gegen Gaddafi zu behaupten.  

Das Interview führte Klaus Scherer, NDR