Interview

Eiszeit zwischen NATO und Russland "Deutschland hat eine Sonderrolle"

Stand: 22.08.2008 15:59 Uhr

Das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen ist seit der Georgien-Krise so schlecht wie lange nicht mehr. Manche fürchten sogar einen neuen Kalten Krieg. tagesschau.de sprach mit Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung über Gefahren und Chancen im Umgang mit Russland.

Das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen ist seit der Georgien-Krise so schlecht wie lange nicht mehr. Manche fürchten sogar einen neuen Kalten Krieg. tagesschau.de sprach mit Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik über Gefahren und Chancen im Umgang mit Russland.

tagesschau.de: Viele Deutsche fürchten einen neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Russland. Der deutsche Verteidigungsminister Jung beschwichtigt. Wie ernst ist die Situation?

Michael Brzoska: Die Lage ist nicht gut, aber beileibe nicht hoffnungslos. Wenn sowohl der Westen als auch Russland sich darauf besinnen, dass sie beide eigentlich kein Interesse daran haben, wieder in eine Situation zu kommen, wie wir sie während des Kalten Krieges hatten, dann ist relativ viel Spielraum da, um sich wieder anzunähern.

tagesschau.de: Was ist schief gelaufen im Verhältnis zwischen Russland und der NATO?

Brzoska: Georgien, Raketenabwehr, Kosovo, Bündnisfragen - wir haben im Moment eine Reihe von Krisen, in denen beide Seite teilweise in sehr unsensibler Weise gegenüber den Sicherheitsinteressen des Anderen agieren. Das hat auch viel damit zu tun, dass in Russland gerade ein junger Präsident an die Macht gekommen ist, der natürlich zeigen muss, dass er das Heft in der Hand hat. Hinzu kommt der Wahlkampf in den USA, in dem die nationale Sicherheit eine überproportional große Rolle spielt.

Michael Brzoska

Michael Brzoska, geb. 1953, ist seit Februar 2006 Wissenschaftlicher Direktor am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). Das Institut ist eine eigenständige Forschungseinrichtung an der Universität Hamburg. Der Doppelbegriff im Institutsnamen unterstreicht die zentrale Arbeitshypothese: Friedenswahrung und Sicherheitsvorsorge bedingen sich wechselseitig. Das derzeitige Forschungsprogramm trägt den Titel "Zivilisierung des Konflikts - Gewaltprävention und Friedenskonsolidierung mit zivilen Mitteln".

"Die Situation hat sich schleichend verschlechtert"

tagesschau.de: Und deshalb ist die Lage jetzt so eskaliert?

Brzoska: Die Situation hat sich bereits seit vielen Jahren verschlechtert, erst schleichend und seit einiger Zeit deutlich sichtbar. Der Fall Georgien hat jetzt für eine recht dramatische Zuspitzung gesorgt - aber es gab in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe anderer Fälle, die das Verhältnis bereits deutlich haben abkühlen lassen. Beide Seiten haben immer wieder die eigenen Interessen ganz klar in den Vordergrund gestellt, anstatt den Ausgleich zu suchen,. Da ist viel an Vertrauen verloren gegangen.

tagesschau.de: Wie sollte sich Deutschland in diesem Konflikt positionieren? Kann Deutschland überhaupt etwas ausrichten?

Brzoska: Einerseits sind wir als NATO-Mitglied klar in den Westen eingebunden. Andererseits sind wir, wenn man sich die Frage der Energielieferungen anschaut, wesentlich stärker abhängig von Russland als andere Staaten. Wegen der vergleichsweise guten Beziehungen zu Russland in den vergangenen Jahren - in einer Zeit in der das Verhältnis des Westens gegenüber Russlands insgesamt schlechter wurde - hat Deutschland schon etwas wie eine Sonderrolle. Deshalb sind wir unter den westlichen Staaten in einer besonders guten Situation, um zu versuchen, das Gespräch mit Russland wieder aufzubauen und auszuweiten.

tagesschau.de: Ist das Verhältnis zu Russland tatsächlich noch so gut? Angela Merkel scheint weit distanzierter gegenüber der russischen Führung als etwa Gerhard Schröder als Bundeskanzler.

Brzoska: In der Tat hat es sich etwas abgekühlt. Es sind auch kleinere Fehler von deutscher Seite gemacht worden. Manchmal sind es aber auch die Medien, die manche Aussagen überspitzt und reißerisch darstellen, wie eben erst in Georgien. Da hat Angela Merkel gesagt, Georgien könne in die NATO aufgenommen werden, wenn es denn wolle. Das war im Prinzip keine neue Aussage, ist aber teilweise so transportiert worden. Das wurde in Russland nicht sehr positiv aufgenommen.

"Die OSZE muss gestärkt werden"

tagesschau.de: Wie lässt sich wieder Vertrauen herstellen?

Brzoska: Es muss auf vielen Ebenen versucht werden, die Dinge wieder zu reparieren. Das wird sicherlich schwierig. Man muss sehen, dass die Angst in Osteuropa vor Russland deutlich stärker geworden ist. Da müssen sich künftig alle an einen Tisch setzen, um Probleme, Sorgen und Ängste so früh wie möglich zu artikulieren. Was Georgien angeht, so könnte da die OSZE eine wichtige Rolle übernehmen, um den Konflikt zu entschärfen. Sie ist aber in letzter Zeit eher geschwächt worden. Deshalb gilt es wieder eine Stärkung dieser Organisation anzustreben, um genau das zu erreichen, wofür diese OSZE gegründet worden ist: um in Europa für Sicherheit zu sorgen.

tagesschau.de: Und wie lange wird uns der Konflikt noch beschäftigen?

Brzoska: Das ist ein dauernder Prozess. Aber es wird Möglichkeiten geben, um die Situation durch Gespräche spürbar zu verbessern. Ich sehe eine solche Phase der Entspannung vor allem im kommenden Frühjahr. Dann ist der neue amerikanische Präsident im Amt und der russische hat sich möglicherweise fester etabliert. Aber es gibt keine Garantie, dass es wirklich besser wird. Russland ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich mächtiger geworden, vor allem wirtschaftlich, und innenpolitisch hat es sich zu einem halbautoritären Staat entwickelt. Das sind Dinge, die nicht einfach weggewischt werden können. Das Verhältnis des Westens zu Russland wird nicht wieder so sein können, wie es unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges war.

Das Gespräch führte Ulrich Bentele, tagesschau.de