Interview

Wahl des Kommissionspräsidenten Das Parlament ist am Drücker

Stand: 26.05.2014 17:03 Uhr

Der nächste Kommissionspräsident kommt aus dem Kreis der Spitzenkandidaten für die Europawahl. Davon ist ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause überzeugt. Im Interview mit tagesschau.de erklärt er, warum das Parlament keinen anderen Namen akzeptieren wird.

tagesschau.de: Nach wie vor wollen sowohl Jean-Claude Juncker als auch Martin Schulz Kommissionspräsident werden. Wie sieht das Verfahren aus, dem sich die beiden jetzt nach der Europawahl stellen müssen?

Rolf-Dieter Krause: Das Verfahren regelt der Vertrag von Lissabon, und zwar ganz einfach: Die Staats- und Regierungschefs machen einen Vorschlag, berücksichtigen dabei das Ergebnis der Europawahl und konsultieren das Parlament. Sie sind aber frei, ihren Vorschlag zu machen. Das Europäische Parlament ist wiederum frei, diesen Vorschlag anzunehmen oder abzulehnen.

Aber: Die meisten Staats- und Regierungschefs haben sich darauf verständigt, gemeinsame Spitzenkandidaten der Parteifamilien ins Rennen zu schicken. Das bindet sie in meinen Augen politisch. Jedenfalls würde ich mich als Wähler doch sehr wundern, wenn ein dritter oder vierter Name auftauchen würde. Auch das Parlament wird wohl keinen Kommissionspräsidenten akzeptieren, der nicht aus dem Kreis der Spitzenkandidaten stammt. Andernfalls würde es sich endgültig zum Papiertiger machen. Und: Auch wenn es kaum noch vorstellbar ist – die Politikverdrossenheit ließe sich durch einen solchen politischen Betrug auch noch steigern.

Zur Person

Rolf-Dieter Krause leitet seit 2001 das ARD-Fernsehstudio in Brüssel. Bereits 1992 veröffentlichte der gebürtige Lüneburger sein Buch "Europa auf der Kippe: Vierzehn Argumente gegen den Vertrag von Maastricht". 2012 wurde er vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Er sei im Schicksalsjahr der Eurokrise zum Erklärer Europas geworden.

tagesschau.de: Wovon ist abhängig, welcher Kandidat tatsächlich über die Mehrheit verfügt?

Krause: Wir müssen abwarten, wie groß die Fraktionen am Ende tatsächlich sind. Bei der Konservativen, der Europäischen Volkspartei EVP, stellt sich die Frage, ob die Christdemokraten weiter mit der Forza Italia zusammen arbeiten wollen, die im Wahlkampf anti-deutsche Positionen bezogen hat. Ich finde auch, dass CDU und CSU sich darüber hinaus entscheiden müssen, ob sie mit den ungarischen "Bürgerlichen" von Fidesz eine Fraktion bilden wollen, bei der man deutliche anti-demokratische Züge feststellen muss. Forza Italia wie Fidesz gehörten bislang zur Fraktion der EVP. Ohne Forza Italia und Fidesz wäre die EVP aber gar nicht mehr stärkste Fraktion.

Aber: Weder Konservative noch Sozialdemokraten und Sozialisten verfügen über eine eigene parlamentarische Mehrheit. Es wird also nur der Kommissionspräsident, der sich eine solche Mehrheit verschaffen kann und jetzt so etwas wie Koalitionsverhandlungen führt. Das muss jetzt erst einmal Juncker tun.

Auch die Partei entscheidet über Personal

tagesschau.de: Wie bindend ist für die Europaabgeordneten die Fraktionszugehörigkeit?

Krause: Die Parteizugehörigkeit spielt nicht dieselbe überragende Rolle wie im nationalen Parlament, aber sie spielt eine Rolle und das vor allem bei Personalentscheidungen. Das Europäische Parlament unterscheidet sich aber vom Bundestag dahingehend, dass es Konflikte nicht nur entlang der Parteigrenzen austrägt, sondern oftmals auch entlang der Ländergrenzen oder –gruppen. Da vertreten die südlichen Abgeordneten eine andere Meinung als die nördlichen, die östlichen eine andere als die westlichen.

tagesschau.de: Inwieweit müssen Juncker und Schulz nationalen Interessen Rechnung tragen?

Krause: Gar nicht. Juncker kommt aus einem kleinen Land, das ohnehin nicht als Bedrohung empfunden wird. Schulz kommt aus einem großen Land, das von manchen als Bedrohung empfunden wird, gerade ökonomisch. Aber Schulz gilt nun auch nicht als der deutscheste Deutsche in Brüssel. Als er nominiert wurde, habe ich viele Delegierte aus anderen Ländern gefragt, ob ein Deutscher in dieser Position ein Problem darstelle. Die Antwort war regelmäßig: Mit diesem Deutschen ist es kein Problem.

Unterschiedliche Männer, unterschiedliche Modelle

tagesschau.de: Gilt diese Haltung der Parlamentarier auch für die Staats- und Regierungschefs?

Krause: Ich glaube, die interessieren ganz andere Dinge. Die Staats- und Regierungschefs wollen vor allem einen Kommissionspräsidenten, der beeinflussbar ist.

tagesschau.de: Wer würde die europäische Sache stärker voran bringen? Juncker oder Schulz?

Krause: Da nehmen sie sich beide nichts. Ich schätze beide sehr, aber sie verkörpern unterschiedliche Modelle. Juncker wäre wieder ein ehemaliger Regierungschef an der Spitze der Kommission. Damit hat Europa, wie ich finde, in den vergangenen Jahren nicht so gute Erfahrungen gemacht – von Gaston Thorn über Jacques Santer und Romano Prodi bis eben hin zu José Manuel Barroso. Die waren eher schwach. Ich fände es jetzt spannend, wenn jemand von unten in dieses Amt käme, der jahrelang im Parlament Kärrnerarbeit geleistet hat. Der die klassische Karriere von unten nach oben macht. So etwas hatten wir in Europa noch nie.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de