
Indien und das Coronavirus Keine Aussicht auf soziale Distanz
Stand: 31.03.2020 12:49 Uhr
Indiens Regierung will mit drastischen Mitteln mehr soziale Distanz schaffen. Doch das scheint durch den Exodus an Arbeitern und beengte Verhältnisse in den Armenvierteln fast unmöglich.
Von Bernd Musch-Borowska, ARD-Studio Neu-Delhi
In Indien ist die offizielle Zahl der Corona-Fälle inzwischen auf mehr als 1200 gestiegen. Innerhalb von 24 Stunden wurden fast 230 neue Infektionen registriert. 32 Menschen sind infolge einer Covid-19-Erkrankung gestorben.
Und es wird befürchtet, dass die große Welle erst noch bevorsteht.
In Neu-Delhi werden mittlerweile 300 Krankenhaus-Einweisungen und zehn Corona-Todesfälle mit einer religiösen Versammlung in Zusammenhang gebracht. In einer Moschee im Stadtteil Nizzamuddin hatten sich Anfang des Monats - noch vor der Ausgangssperre - fast 2000 Muslime versammelt, darunter Pilger aus ganz Indien und offenbar mehr als 200, die aus dem Ausland angereist waren. Zeitungsberichten zufolge verbreiteten die Moscheebesucher danach das Virus im ganzen Land.
Nachdem sich vor wenigen Tagen erneut 200 Muslime trotz Ausgangssperre in der Moschee versammelt hatten, riegelte die Polizei den gesamten Stadtteil ab. Von 25 neuen Corona-Fällen, die gestern in Neu-Delhi registriert wurden, stammten Zeitungsberichten zufolge 18 aus der betroffenen Moschee der muslimischen Missionsbewegung Tablighi Jamaat.
Arbeiter auf dem Weg in die Heimatdörfer
Auch der Massenexodus von Arbeitern aus Neu-Delhi trägt möglicherweise dazu bei, dass sich die Corona-Epidemie in Indien verbreitet. Hunderttausende hatten sich am Wochenende auf den Weg in ihre Heimatdörfer gemacht, nachdem die Baustellen und Geschäfte in der indischen Hauptstadt geschlossen wurden.
Um den Massenexodus der Arbeiter aus den indischen Millionenstädten zu stoppen, hatte die Regierung am Sonntag angeordnet, alle Grenzen der Bundesstaaten zu schließen. Die örtlichen Behörden wurden angewiesen, provisorische Unterkünfte einzurichten. In der Stadt Surat im Westen Indiens kam es daraufhin zu Zusammenstößen zwischen mehr als hundert Arbeitern und der Polizei, nachdem die Menschen daran gehindert worden waren, ihre Reise in ihre Heimatdörfer fortzusetzen.
Hautverätzungen durch Bleichmittel
Im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh wurde eine Gruppe Wanderarbeiter mit Bleichmittel abgespritzt. Die lokalen Behörden hatten eine Desinfizierung angeordnet. Viele seien danach mit Hautverätzungen ins Krankenhaus gekommen, hieß es.
Überall im Land werden jetzt ganze Ortschaften mit Desinfektionsmitteln behandelt. Dies diene zum Schutz gegen eine Übertragung des Virus durch Oberflächenkontakt, erklärte Abrihim Pankaj. Er ist der Leiter eines Desinfektions-Teams im indischen Kaschmir und sprach mit einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters: "Die Chemikalie Natrium-Hypochlorit verhindert, dass sich das Virus in der Umgebung vermehrt. Und wir versprühen dieses Bleichmittel hier überall, um die Gegend zu desinfizieren."
Beengte Lebensverhältnisse
Die ehemalige indische Gesundheitsministerin Sujatha Rao warnte vor einer rasanten Ausbreitung des Virus in den Armenvierteln der indischen Millionenstädte. Die Menschen lebten dort sehr beengt, so Rao in einem Interview mit der indischen Tageszeitung "Economic Times". Soziale Distanz sei für sie keine Option.
Anstieg der Corona-Fälle in Indien
Bernd Musch-Borowska, ARD Neu-Delhi
31.03.2020 06:55 Uhr
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