
Steinmeier in Yad Vashem Worte der Verantwortung
Stand: 23.01.2020 07:03 Uhr
Es wird keine leichte Rede für Frank-Walter Steinmeier. Er wird heute anlässlich der Befreiung von Auschwitz 1945 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sprechen - als erstes deutsches Staatsoberhaupt.
Von Tim Aßmann, ARD-Studio Tel Aviv
Sieben bis acht Minuten - so viel Zeit hat das Protokoll den Rednern und damit auch dem Bundespräsidenten eingeräumt. Wenig Zeit für eine so wichtige Rede.
Als erstes deutsches Staatsoberhaupt darf Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem sprechen. Er sieht das als große Ehre. Es ist wohl auch ein Zeichen persönlicher Wertschätzung durch den israelischen Präsidenten Reuven Rivlin, der die Einladung aussprach. Steinmeier sieht diese als ein Zeichen der Versöhnung an.
Nicht nur zurückschauen, sondern Verantwortung erkennen
Dass der deutsche Bundespräsident in Yad Vashem spricht, wenn dort an die Auschwitz-Befreiung erinnert wird, ist auch ein Zeichen der Verbundenheit, die mittlerweile zwischen Israel und Deutschland besteht.
Gestern, am Tag vor der Gedenkveranstaltung, besuchte Steinmeier in Jerusalem Holocaust-Überlebende. Sie hätten an ihr Schicksal erinnert, "aber auch gemahnt an unsere Verantwortung, nicht nur zurückzuschauen auf eine schreckliche Vergangenheit, sondern die Verantwortung im Heute auch im Eintreten gegen Antisemitismus zu erkennen", sagte Steinmeier.
"Bei mir existiert Auschwitz Tag und Nacht"
Die Verantwortung für den Massenmord zu betonen, der Opfer zu gedenken und die Mahnung vor stärker werdendem Antisemitismus nicht die Augen zu verschließen, die Gefahr ernst zu nehmen - diese Punkte wird der Bundespräsident voraussichtlich ansprechen. Er wird in seiner Rede wahrscheinlich ein bisschen Hebräisch einbauen, sie aber überwiegend in Englisch halten und auf Deutsch verzichten, die Sprache der Täter - aus Rücksichtnahme auf Holocaust-Überlebende, auf Menschen wie Menachem Haberman, der im Konzentrationslager Auschwitz war.
"Jeden Morgen, wenn ich meine Gebetsriemen anlege, sehe ich Auschwitz vor mir. Jeden Tag sehe ich Auschwitz, und ich sehe Auschwitz auch oft in der Nacht - den Tod. Für mich wurde Auschwitz nicht befreit. Denn bei mir existiert Auschwitz Tag und Nacht."
Diplomatischer Zwist im Vorfeld
Rund 50 hochrangige Staatsgäste aus aller Welt sind zu der Gedenkveranstaltung angereist. Neben Steinmeier werden auch Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu, Präsident Rivlin sowie dessen Amtskollegen aus Frankreich und Russland, Emmanuel Macron und Wladimir Putin, US-Vizepräsident Mike Pence und der britische Thronerbe Prinz Charles sprechen.
Israel gedenkt den Holocaust-Opfern
tagesschau 15:00 Uhr, 23.01.2020, Susanne Glass, ARD Tel Aviv
Vor allem der Auftritt Putins sorgte im Vorfeld für diplomatische Verstimmungen zwischen Israel und Polen. Die Regierung in Warschau fürchtet, dass der russische Präsident Polen in seiner Rede eine Mitverantwortung am Zweiten Weltkrieg geben könnte. Deshalb wollte auch Polens Präsident Andrzej Duda in Yad Vashem sprechen. Als die israelischen Organisatoren ablehnten, sagte Duda seine Teilnahme ab.
"Wir wissen nie, wo Antisemitismus endet"
Israels Staatspräsident Rivlin mahnte am Vorabend der Veranstaltung, Geschichte sollte den Historikern überlassen werden. Politiker sollten die Zukunft im Blick haben, sagte Rivlin, der zuvor zu einem entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus aufgerufen hatte.
"Antisemitismus beginnt irgendwo und richtet sich gegen irgendwen, aber wir wissen nie, wo er endet. Wir müssen vereint sein im Kampf gegen Faschismus, Rassismus, Hass und Antisemitismus."
Das Gedenken in Yad Vashem bildet den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen, mit denen an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren erinnert wird. Dort wurden nach Schätzungen mehr als eine Million Menschen ermordet.
Am Montag - dem Jahrestag der Befreiung - wird in Auschwitz selbst der Opfer gedacht. Steinmeier und Rivlin werden dabei sein, und danach gemeinsam nach Berlin reisen, wo Rivlin am Mittwoch nächster Woche im Bundestag sprechen wird.
Vor dem Gedenken an die Auschwitz-Befreiung in Yad Vashem
Tim Aßmann, ARD Tel Aviv
23.01.2020 06:35 Uhr
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