Interview

Griechenland nach der Wahl Eine Mammutaufgabe mit geringem Spielraum

Stand: 18.06.2012 13:58 Uhr

Die Wahlen sind überstanden, die Probleme noch lange nicht gelöst. Der Politologe Janis A. Emmanouilidis sagt im Interview mit tagesschau.de zwar einen pro-europäischen Kurs der neuen griechischen Regierung voraus. Bitter nötig seien aber mehr Wachstum und mehr politische Unterstützung aus Europa.

tagesschau.de: Die meisten Reaktionen auf das griechische Wahlergebnis fallen einigermaßen erleichtert aus, obwohl die griechischen Konservativen wie auch Sozialdemokraten sich bisher ja mehr als Krisenverursacher denn als Krisenbewältiger hervorgetan haben. Wie ist dieser Eindruck der Erleichterung also zu erklären?

Janis A. Emmanouilidis: Die Befürchtung stand im Raum, dass die linke Syriza erste Kraft werden könnte und dann Abstand von dem nehmen würde, was zwischen Griechenland und den europäischen und internationalen Partnern vereinbart worden war. Man ging davon aus, dass sich das negativ auf das Verhältnis überhaupt und auch negativ auf die Märkte ausgewirkt hätte. Man ging auch davon aus, dass sich Griechenland aus der Euro-Zone hinaus bewegen würde - meines Erachtens eine fälschliche Vereinfachung der Situation. Auch Syriza, wie auch 70 bis 80 Prozent der griechischen Bevölkerung, sind für den Verbleib Griechenlands im Euro.

Tatsächlich aber besteht eine Diskrepanz. Auf der einen Seite zeigt man sich beruhigt, auch aufgrund der Tatsache, dass in Griechenland tatsächlich eine Regierung gebildet werden kann. Auf der anderen Seite werden die Parteien der Regierung angehören, die das Land in diese Situation hinein manövriert haben.

Zur Person

Seit 2009 ist der Politologe Janis A. Emmanouilidis Chefanalyst beim "European Policy Centre" in Brüssel. Schwerpunkte seiner Arbeit sind EU-Integration und EU-Erweiterung. Auch sein privater Lebenslauf ist europäisch geprägt: Abitur in Athen, Studium in Nürnberg und Lancaster, Jobs in Warschau, Bonn und München.

Pro-europäischer Kurs

tagesschau.de: Also besteht weiter Grund zur Sorge?

Emmanouilidis: Ich gehe davon aus, dass die neue Regierung sich sehr pro-europäisch orientiert. Sie wird sich an die Grundlinien dessen halten, was vereinbart wurde. Die Frage ist aber, ob die neue Regierung auch über ausreichend politische Kraft verfügt, um das Land tiefgreifend zu reformieren. Sie muss am Sparkurs festhalten und gleichzeitig das Land zurück auf den Wachstumspfad führen. Das ist nach fünf Jahren Rezession bitter nötig.

tagesschau.de: Welche Möglichkeiten zur Regierungsbildung gibt es jetzt? Welche Partner werden welche Bedingungen stellen?

Emmanouilidis: Die wahrscheinlichste Möglichkeit besteht darin, dass sich die konservative Nea Dimokratia mit der sozialdemokratischen PASOK zusammenfindet. Die beiden Parteien hätten im Parlament eine ausreichende Mehrheit. Darüber hinaus gibt es eine moderate linke Partei namens DIMAR, die sehr europäisch ausgerichtet ist. Vielleicht sucht man hier nach weiterer Unterstützung, um die Regierung möglichst breit aufzustellen. Vielleicht sucht man aber auch nach Technokraten, um mehr Sachverstand rekrutieren zu können.

Begrenzter Spielraum

tagesschau.de: Wie viel Spielraum bleibt für Nachverhandlungen mit der Europäischen Union über die Sparauflagen?

Emmanouilidis: Meiner Meinung nach wird es einen Spielraum geben, aber dieser Spielraum wird begrenzt sein. Man wird zum Beispiel darüber verhandeln, ob man den Mehrwertsteuersatz senkt. Ob es einen anderen Weg gibt, die vereinbarten Ziele zu erreichen. Ganz sicher wird über die Zeitdimension verhandelt werden, also über die Frage, was bis wann umgesetzt werden muss. Schließlich gilt es, den Druck auf die Bevölkerung zu reduzieren, die am Rande der Belastbarkeit angekommen ist.

tagesschau.de: Wann braucht Griechenland erneut Geld?

Emmanouilidis: Der Druck ist momentan nicht so groß. Die Frage, ob man die Unterstützung kürzt oder kappt, stellt sich erst im Herbst. Ich bin aber sicher, dass man eine gemeinsame Linie findet und die weiteren Tranchen auszahlt, vor allem, nachdem man jetzt so lange finanzielle Unterstützung gewährt hat. Da macht es keinen Sinn, die Perspektiven für das Land und die Krisenbewältigung insgesamt in Frage zu stellen, nur weil man eine Tranche nicht auszahlt.

Reinhard Baumgarten, R. Baumgarten, ARD Istanbul, 18.06.2012 11:53 Uhr

Griechische Agenda 2020

tagesschau.de: Zwischen den Wahlen von Mai und Juni sind Wochen des Stillstands vergangen. Welche Folgen wird das haben, auch in Hinblick auf die Beurteilung Griechenlands durch die Troika und die nächsten Hilfszahlungen?

Emmanouilidis: Die Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds wird feststellen, dass die Umsetzung des vereinbarten Programms hinterher hinkt und sich die betroffenen Bereiche genau ansehen. Dann wird man entscheiden, welche Bereiche Priorität haben, haben müssen. Die neue griechische Regierung wird ein Interesse daran haben, eine Art Wirtschaftsprogramm, eine Agenda 2020, aufzulegen. Ich glaube, dass wir eine solche Agenda 2020 bereits in den ersten Tagen oder Wochen sehen werden. Man braucht einen Plan, um zu zeigen, dass es nicht darum geht, ein Diktakt von außen umzusetzen, sondern, dass die Regierung selbst einen Plan hat, was zu tun ist.

tagesschau.de: Sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch, was die Entwicklung in Griechenland angeht?

Emmanouilidis: Weder das Eine noch das Andere. Seit Beginn der Krise bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass es fast unmöglich ist, Prognosen zu stellen. Die Frage wird sein, ob die neue Regierung die ihr zu Verfügung stehende Zeit vernünftig nutzt. Die Frage wird auch sein, ob die neue Regierung ausreichend unterstützt wird. Ich zum Beispiel würde es sehr gerne sehen, wenn führende europäische Politiker inklusive Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Griechenland reisten. Dieses politische Kapital sollte man investieren, um sich nicht in einem Jahr eine ähnlichen Lage zu befinden wie jetzt vor den Wahlen. Man sollte vermeiden, fragen zu müssen: Was tun wir, wenn ein Land aus dem Euro-Raum ausscheidet?

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de