Chardonnay-Trauben hängen am Weinstock.
Reportage

Sorge um französischen Weinbau Desinfektion mit Chardonnay?

Stand: 30.08.2020 10:58 Uhr

Geschlossene Restaurants und keine Feiern: Wenig Gelegenheit, Wein zu trinken. Französischen Winzern machen die Corona-Maßnahmen schwer zu schaffen. Der Wein, auf dem sie sitzen bleiben, fließt direkt in den Infektionsschutz.

Délphine de la Roussière ist Winzerin in der zehnten Generation - und hat gerade alle Hände voll zu tun: Sie probiert und prüft den Zuckergehalt ihrer Trauben. Die Sonne steht hoch. Fast vierzig Grad waren es vor einigen Tagen in Languedoc-Roussillion, einem der wichtigsten Weinanbaugebiete Frankreichs. Das Ergebnis ist gut: Es wird Zeit für die Lese der Trauben.

Délphine ist hier aufgewachsen. Ihr eigenes Weingut hat sie vor sechs Jahren gekauft. 22 Hektar. Zuvor hatte sie 20 Jahre für eine Landwirtschaftsbank in Paris gearbeitet, bis sie sich hier ihren Traum erfüllte.

Volle Tanks wegen Corona

Dann kam die Covid-Krise - und mit ihr ein bitteres Erwachen. "Die Märkte waren auf einmal zu, in China, Singapur. Und bei uns schlossen die Restaurants, der ganze Tourismus kam in die Krise und unser Wein verkaufte sich plötzlich einfach nicht mehr", sagt sie. "Das war wirklich furchtbar für uns, wirklich sehr schwer!"

Die riesigen Tanks in ihrem Keller seien randvoll geblieben. Normalerweise verkaufe sie 70 Prozent ihrer Ernte ins Ausland. Dieses Jahr nicht. Dabei sei ihr der Rote 2019er eigentlich ganz gut gelungen, scherzt sie. Aber abgefüllt habe sie nur einen Bruchteil. Der Rest: Vernichtet - in die Destillerie geschickt, um daraus zum Beispiel Desinfektionsmittel zu machen: "Letzte Woche ging die erste Fuhre - 363 Hektoliter - in die Destillerie!" Die Tanks seien jetzt alle leer.

"Krisendestillation"

Sie ist nicht die einzige Winzerin, der keine andere Wahl blieb. Am Canal du Midi in Languedoc-Roussillion findet derzeit die größte Wein-Vernichtungsaktion des Landes statt: 1,2 Millionen Hektoliter Wein - mehr als ein Drittel der gesamten Produktion Frankreichs werden destilliert. Krisendestillation nennen die Weinbauern das.

Und viele mit Wein vollgetankte LKWs landen dann bei Jean-Luc Theraroz, ein alter Haudegen im Weingeschäft. Er ist Chef der Destillerie von Arzèns, in der normalerweise Trester und Weinbrand verarbeitet werden. Theraroz führt uns ins Innerste seiner Destillerie. Es ist heiß und laut hier. Die 40 Jahre alten Maschinen machen einen Höllenlärm. Dampf wird in die Kessel gedrückt, und, bei hohen Temperaturen wird der Wein zu Industriealkohol destilliert.

"Wir haben den Wein oben in den Kesseln. Wir spritzen dann Dampf ein, das ist das Geräusch, das man hört. Dieser Alkoholdampf setzt sich dann am Boden ab und gelangt durch einen Kondensator in den Tank."

Aus diesem hochprozentigen Alkohol entsteht jetzt vor allem Desinfektionsgel - bis vor Kurzem noch Mangelware in Frankreich. Zurzeit verarbeiteten sie hier in zwei Monaten so viel Wein, wie sonst im ganzen Jahr, sagt Theraroz. Draußen wartet schon der nächste LKW zum Weitertransport.

In Zukunft weniger produzieren?

Délphine schaut bei Theraroz vorbei, sie hat ihren Wein ebenfalls hier abgeliefert. Die beiden rechnen: 363 Hektoliter. Dafür bekommt sie vom Staat und der EU eine Entschädigung von 26.500 Euro. Normalerweise hätte sie mit dem Abverkauf des Weines das Doppelte erzielt, sagt sie.

Doch Aufgeben möchte sie nicht. Lieber konzentriert sie sich auf die neue Lese: Der Trecker lockert noch einmal die Erde auf, bevor die Erntemaschinen anrücken. Délphine ist gespannt auf ihren neuen Wein - aber sie macht sich auch Gedanken über die Zukunft der französischen Weinwirtschaft. Wenn man noch einen Winter und ein Frühjahr ohne Restaurants und Feste haben sollte und keine Gelegenheiten, guten Wein zu trinken, müsse man sich neu aufstellen. "Und das heißt: weniger produzieren", so Délphine.

Das hätte einschneidende Konsequenzen nicht nur für ihre Arbeit, sondern für die Jobs und das Leben vieler Menschen in der großen Weinregion des Languedoc.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 30. August 2020 um 23:15 Uhr.