
Stimmung in der Ukraine Weihnachten im Krieg
Verwandte an der Front, Tausende Menschen gestorben: Für die Ukraine ist es das erste Weihnachten im russischen Angriffskrieg. Es ist nicht die Zeit für Partys und große Geschenke. Ein Streifzug durch Kiew.
Ein Einkaufszentrum im Süden von Kiew. Die Flure sind an diesem Nachmittag fast menschenleer, Verkäuferinnen tippen gelangweilt auf ihren Smartphones. Ivanka ist hier, um Weihnachtseinkäufe zu machen.
"Ich denke, das wird ein anderes Fest in diesem Jahr. Wir werden Strom sparen", sagt sie. Und was das Festtagsessen angehe, schlage sie ihrer Familie vor, dass es nur halb so groß ausfalle. "Wir brauchen in diesem Jahr kein rauschendes Fest, es sollte ruhig und besinnlich sein. Wir können feiern und uns etwas Ruhe gönnen - andere können das nicht."
Keine großen Partys und Geschenkorgien
So wie Ivanka sehen das viele: Es ist nicht die Zeit für große Weihnachtspartys und Geschenkorgien. Tausende Menschen sind in diesem Jahr in der Ukraine getötet worden, viele haben Freunde und Verwandte an der Front. Und etliche Familien verbringen das Fest außerhalb der eigenen vier Wände - weil ihre Häuser beschädigt sind oder es in ihrer Stadt schlicht zu gefährlich ist.
Oleksii aus Charkiw ist mit seinem Sohn bei Verwandten in Kiew untergekommen. "Die Gefühlslage ist wegen des Krieges natürlich anders. Wir sind innerlich noch immer voller Angst", sagt er. Dieses Jahr werde anders sein. "I want new phone", sagt sein Sohn. Ein neues Handy möchte er haben. Und der Blick des Vaters lässt erahnen, dass er es auch bekommen wird. Andere Kinder gehen leer aus - auf eigenen Wunsch.
"Wir haben nichts gekauft, weil unsere drei Kinder alle keine Geschenke wollen. Wir spenden das Geld der Armee, so wie es viele Ukrainer tun", erzählt eine Mutter aus Kiew. Die Kinder würden wegen des Krieges nur Süßigkeiten wollen, das reiche ihnen.
In der Ukraine laufen die Weihnachtsvorbereitungen. Zwar feiert ein großer Teil der Menschen erst am 6. und 7. Januar: An diesen Tagen begeht traditionell die orthodoxe Kirche Weihnachten, genauso wie in Russland. Die ukrainische orthodoxe Kirche hat es allerdings jetzt ihren Mitgliedern erlaubt, auch schon am 25. Dezember zu feiern - so wie fast überall auf der Welt.
Mehrheit will an die Armee spenden
60 Prozent der Ukrainer wollen einen Teil ihres Weihnachtsbudgets der Armee spenden. Das hat gerade eine Umfrage gezeigt. Und ebenfalls gut 60 Prozent wollen auch in diesem Jahr Weihnachtsgeschenke machen. Diese fielen aber oft kleiner aus, so der Wirtschaftswissenschaftler Oleksiy Volotovskiy.
"Die Leute sind sparsam, sie fragen sich: Braucht man dieses oder jenes wirklich? Es gibt auch keine Weihnachtsmärkte in Kiew, die Leute machen etwas Günstigeres oder bleiben im Familienkreis", schildert er. Ab 23 Uhr sei ja ohnehin Sperrstunde.
Die Geschäfte hätten sowieso nicht mit einem größeren Weihnachtsgeschäft gerechnet, sagt Volotovskiy weiter. Zumal mehr als sieben Millionen Ukrainer außer Landes sind, darunter viele Kinder. Da fehlen schlicht die Kunden.

Der Weihnachtsbaum in Kiews Hauptbahnhof wird mit einem Fahrradgenerator beleuchtet, um Strom zu sparen.
"Wir versuchen, das Beste daraus zu machen"
In der Kiewer Traditionsbuchhandlung Sjaivo laufen die Geschäfte aber gar nicht so schlecht, so die Verkäuferin Irina: "Die Leute kaufen historische Literatur, Kinderbücher und Psychologie-Ratgeber: Etwa dazu, wie man Stress bewältigt und durch schwierige Zeiten kommt."
Es sind schwierige Zeiten - aber Weihnachten muss trotzdem sein, sagt sie. Irina wird ihrem kleinen Sohn ein Fahrrad schenken. "Wir versuchen, das Beste daraus zu machen - und wegen des Kriegs nicht zu deprimiert zu sein", erzählt sie. "Wir können im Moment sowieso nichts an unserer Lage ändern. Ich möchte, dass das Kind die festliche Atmosphäre spürt."
Weihnachtsbaum leuchtet in Blau und Gelb
Dafür will auch der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, sorgen. Er hat gerade den Weihnachtsbaum der Stadt eingeweiht. Auch der ist in diesem Jahr deutlich kleiner ausgefallen. Aber er leuchtet, in den ukrainischen Farben Blau und Gelb - für Klitschko ein wichtiges Signal: "Die Russen wollen uns das normale Leben wegnehmen. Wir lassen nicht zu, dass unseren Kindern Weihnachten und Neujahr geklaut werden.“
Das Weihnachtsfest dürften die meisten Menschen hier aber doch erst Anfang Januar feiern, so wie bisher - und nicht schon am 25. Dezember. Viele halten an dieser Tradition fest. Es ist ja auch so schon alles anders als im vergangenen Jahr.