Eine Bewohnerin in der vom Dammbruch betroffenenen Region Mykolajiw in der Ukraine vor ihrem von Wasser umgebenen Haus.

Nach Dammbruch in der Ukraine "Wer weg wollte, ist schon weg"

Stand: 09.06.2023 19:57 Uhr

Die Flut im Gebiet Cherson hat eine humanitäre Krise im Kriegsgebiet ausgelöst. Ukrainische Rettungskräfte haben bislang rund 2400 Menschen evakuiert - doch viele wollen bleiben.

Von Andrea Beer, ARD Kiew, zzt. in Mykolajiw

Die Stadt Mykolajiw liegt rund 75 Kilometer nördlich von Cherson. Hier fließt der Inhul in den Südlichen Bug, der wiederum ins Schwarze Meer mündet. Die unkontrollierten Wassermassen des Dnipro behindern das und so ist die Region Mykolajiw zurzeit gewissermaßen das Hinterland der Überflutung. Doch auch hier sind Straßen, Wege, Felder, ganze Dörfer und Brücken überschwemmt.

Rettungskräfte versuchen, rund um die Uhr Anwohner aus dem Flutgebiet zu holen

Mathea Schülke, WDR, tagesschau, 09.06.2023 20:00 Uhr

Wasser steht mehr als fünf Meter hoch

Vlad und Sergej stehen hüfthoch im Wasser. Einer hat ein großes Paket auf dem Arm, das er zur Post bringen möchte. "Ich weiß nicht, wie das alle machen. Es sind nicht viele Leute dort hinten geblieben", erzählen sie, als sie auf der teilweise überschwemmten Brücke kurz stehen bleiben.

Am dritten Tag nach dem Dammbruch ist die Situation im Hochwassergebiet weiter schwierig und in Teilen unübersichtlich. Nach Angaben der regionalen Militärverwaltung von Cherson sinkt der Wasserstand in der Region langsam wieder. In den betroffenen Überschwemmungsgebieten der Region stehe das Wasser im Schnitt dennoch etwa 5,40 Meter hoch.

Trinkwasserproblem hat sich verschärft

Die Versorgung mit Trinkwasser sei für die Stadt Mykolajiw seit Langem ein Problem, sagt Vize-Bürgermeister Vitaji Lukow. Die Stadt lag monatelang unter starkem russischem Beschuss und die Zerstörung durch Raketen ist an jeder Ecke zu sehen. Nach der Rückeroberung von Cherson lag ein Teil der Trinkwasserversorgungsanlage auf besetztem Gebiet, was die Versorgung erschwert hat.

Durch die Überflutung sei nun auch noch die ohnehin anfällige Pumpstation überschwemmt, deren Strom vor rund drei Wochen ausgefallen sei. Nun habe die Stadt Mykolajiw keine Aussichten, die Station zu reparieren, da alles überflutet sei, sagt Vize-Bürgermeister Lukow.

Rund 2400 Menschen von Ufer weggebracht

Auf dem ukrainisch kontrollierten rechten Ufer wurden bis zum Nachmittag rund 2400 Menschen evakuiert. Sie und ihre Helfer müssen weiter mit russischem Beschuss rechnen.

Nach Angaben der regionalen Militärverwaltung vom Vormittag wurde alleine die Stadt Cherson in den letzten 24 Stunden 25 Mal mit Raketen, Drohnen und Artillerie angegriffen. In der gesamten Region wurden dabei zwei Menschen getötet und 17 verletzt, zwei von ihnen schwer.

Viele bleiben und warten ab

Die Stadt Mykolajiw hat sich darauf eingestellt, bis zu 1000 Menschen aufzunehmen - aber bisher seien nur wenige gekommen, erklärt Vizebürgermeister Lukow weiter. Die meisten wollten offenbar bleiben und abwarten.

Wer weg wollte, ist schon weg.
Vitaji Lukow, Vize-Bürgermeister von Mykolajiw

Nach ukrainischen Angaben sitzen auf der besetzten linken Uferseite Menschen auf Dächern, Hunderte hätten seit Tagen kein Essen und Trinken bekommen.

Informationen über Tote, Vermisste und Verletzte sind unterschiedlich. Das ukrainische Innenministerium teilte am Nachmittag mit, vier Menschen seien durch das Wasser umgekommen - 13 Menschen würden vermisst und elf seien verletzt worden.

Andrea Beer, ARD Kiew, zzt. Mykolajiw, tagesschau, 09.06.2023 18:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 09. Juni 2023 um 21:43 Uhr.