Alexander Vietrov bei seiner Patrouille in Slowjansk
Reportage

Ukrainische Polizeipatrouille Auf der Suche nach prorussischen Saboteuren

Stand: 28.03.2023 17:59 Uhr

Mehr als 600 prorussische Spione und Agenten sind nach ukrainischen Angaben seit Kriegsbeginn festgenommen worden. In Slowjansk suchen bewaffnete Polizisten nach den Saboteuren - während der nächtlichen Ausgangssperre.

Wenn Alexander Vietrov ins Auto steigt und mit seiner Patrouille beginnt, ist es bereits so dunkel, dass seine Uniform nahezu mit der Nacht verschmilzt. Seine Einheit, die "Patrol Police Sloviansk", trägt schwarze Uniformen, Splitterschutzwesten und Sturmgewehre. Sie soll die nächtliche Ausgangssperre in Slowjansk kontrollieren, einer Stadt rund 20 Kilometer von der ostukrainischen Frontlinie entfernt. Und: Vietrov und seine Kollegen sind auf der Suche nach prorussischen Saboteuren.

Die Patrouille führt durch die Außenbezirke der Stadt, durch menschenleere Straßen. Ab neun Uhr abends wird die Stadt verdunkelt, um russischen Drohnen und Raketen keine Orientierungspunkte zu geben. Wer jetzt noch draußen unterwegs ist und nicht zum Militär gehört, ist für Vietrov als potenzieller Saboteur verdächtig.

"Sie stellen eine Gefahr für die Ukraine dar, sie sind gefährlich", sagt Vietrov. Er befürchtet, die Saboteure könnten Militärbewegungen an die Russen melden, Einschlagsziele von Raketen korrigieren oder neue Zielkoordination durchgeben.

"Warum seid ihr noch nicht zu Hause?"

Am Straßenrand tauchen aus der Dunkelheit plötzlich zwei Männer mit Rucksäcken auf. Vietrov und seine Kollegen springen aus dem Auto, das Blaulicht des Polizeiwagens taucht die Straße in fades Licht. "Warum seid ihr noch nicht zuhause? Seid ihr von hier?", fragt Vietrov. "Habt ihr russische Nummern auf dem Handy gespeichert?"

Seine Kollegin Polina Pylypenko scrollt durch die Smartphones der beiden. Checkt Chats, Messenger-Apps und Fotos. "Es ist auch verboten, Einschlagsziele zu fotografieren", sagt die 29-Jährige. Parallel gleicht Vietrov die Namen und Gesichter der Männer in einer Datenbank ab. "Standardprozedere", sagt er. Sein Gewehr klappert, als er sich über ein Auto beugt.  

Nach einigen Minuten ist klar: Einer der beiden Männer hat zwar mit russischen Kontakten gechattet. Verdächtige Fotos oder Informationen finden die Polizisten aber nicht. Die beiden Männer dürfen weitergehen, aber erhalten eine Verwarnung.

Polizei-Patrouille in Slowjansk

Bei Kontrollen durchsucht Polina Pylypenko auch die Handys von Verdächtigen.

Heimliche Sympathien für Russland

Laut dem ukrainischen Geheimdienst wurden seit dem Beginn des russischen Überfalls vor rund einem Jahr mehr als 600 "russische Agenten und Spione" enttarnt. Sie sollen "subversive Aktivitäten" ausgeführt haben. 340 Fälle würden demnach bereits vor Gericht verhandelt.

Slowjansk gilt als unruhige Stadt in der Ukraine. Im Jahr 2014 kam es dort zu bewaffneten Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Sicherheitskräften. Zeitweise wurden Verwaltungs-, Polizei- und Geheimdienstgebäude von den Separatisten besetzt.

Bei seinen Patrouilleschichten in Slowjansk hat Alexander Vietrov persönlich noch keine Saboteure festnehmen können. Aber er ist überzeugt, dass sie in der Stadt unterwegs sind. Denn viele Menschen in der Stadt hätten "heimlich Sympathien" für die sogenannte "russische Welt". Diejenigen, "die glauben, sie hätten ein besseres Leben, wenn Russland hier wäre".

"Hände hoch, bitte!"

Einige Kilometer weiter, in der Innenstadt von Slowjansk, sind Serhii Simeyko und Andrii Pytrula zu Fuß auf Patrouille unterwegs. Ihre Taschenlampen sind die einzigen Lichtkegel in den Straßen. Diese streifen die Trümmerreste eingestürzter Häuser, verlassene Spielplätze und zerstörte Fassaden.

"Slowjansk ist Rückzugsgebiet für unser Militär", sagt Pytrula. "Wir müssen wissen, wer in unserer Stadt unterwegs ist". Er hat sich leuchtend grüne Klebestreifen um die Oberarme gewickelt - so wie die ukrainischen Soldaten es auch machen. Einmal, erzählt der 21-Jährige, habe er eine illegal bewaffnete Gruppe in Slowjansk mit festnehmen können. 

Auf der anderen Straßenseite fällt ihnen ein einzelner Mann auf. Dunkle, abgetragene Jacke, kurzes Haar, Brille. Er behauptet, die Ausgangssperre "vergessen" zu haben. Er sei noch bei seiner Freundin gewesen.

Auch dieser Mann dürfte eigentlich nicht mehr draußen auf der Straße sein. "Hände hoch, bitte!", sagt Simeyko. Pytrula kontrolliert den Mann, leert die Taschen aus, inspiziert das Handy. Aber wieder: kein Treffer. Der Mann ist unverdächtig, wird nach Hause geschickt. "Es ist nicht leicht", sagt Pytrula. Die Saboteure "sind genauso vorsichtig wie wir".

Polizei-Patrouille in Slowjansk

Zu Fuß ist Serhii Simeyko mit seinem Kollegen in Slowjansk unterwegs.

Neue Einschläge in Slowjansk

Bis fünf Uhr morgens dauert die Ausgangssperre. Noch während der Schicht von Alexander Vietrov und Andrii Pytrula sind neue Einschläge in der Stadt zu hören.

Bei weiteren Raketenangriffen auf das Stadtzentrum wenige Tage später sterben laut Behördenangaben mindestens zwei Menschen, etwa 30 weitere werden verletzt. Demnach wurden Verwaltungs- und Bürogebäude sowie fünf Miets- und sieben Privathäuser beschädigt.