Weihnachtsbaum am Sophienkloster in Kiew. Sonst fällt er deutlich größer und heller aus.
Reportage

Jahresende ohne Familie Land der einsamen Väter

Stand: 25.12.2022 05:30 Uhr

Es ist das erste Weihnachtsfest in der Ukraine im russischen Angriffskrieg. Männer sind ohne ihre Familien zurückgeblieben. Und somit ist vielen nicht zum Feiern zumute. Aber sie haben Hoffnung auf den Frühling.

Von Andrea Beer, WDR, zzt. Kiew

So ganz ohne Weihnachtstimmung geht selbst dieses unheilvolle Jahr in der Ukraine nicht zu Ende. Aus Lautsprechern dudelt Musik und an vielen Ecken gibt es Glühwein. Vielen sei dennoch nicht zum Feiern zumute, sagt Zahnarzt Taras aus Kiew. "Ich arbeite, dann koche ich etwas, schaue dann irgendeinen Weihnachtsfilm an, damit wenigsten ein bisschen Stimmung aufkommt. Wenn ich keinen Strom habe, ist das kein Problem - im Vergleich zu dem, was in unserem Land passiert. Uns ist allen klar, dass Krieg ist. Ich habe Kerzen, Batterien und Powerbanks, so dass ich den Weihnachtsfilm auf meinen Laptop runterladen kann."

In der Ukraine kommt rund um den 25. Dezember sowie am 6. und 7. Januar meist die Familie zusammen. Allerdings sind viele zerrissen, denn nach Angaben der Vereinten Nationen haben seit dem 24. Februar mehr als sieben Millionen Menschen die Ukraine verlassen, vor allem Mütter mit Kindern. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. So sind an den Feiertagen und zum Jahreswechsel entsprechend viele Männer ohne ihre Familie.

Weihnachten in der Ukraine

In der Ukraine laufen die Weihnachtsvorbereitungen. Zwar feiert ein großer Teil der Menschen erst am 6. und 7. Januar: An diesen Tagen begeht traditionell die orthodoxe Kirche Weihnachten, genauso wie in Russland. Die ukrainische orthodoxe Kirche hat es allerdings jetzt ihren Mitgliedern erlaubt, auch schon am 25. Dezember zu feiern - so wie fast überall auf der Welt.

"Traurigkeit wird von Monat zu Monat stärker"

Auch Oleksandr Zabrotskyi muss ohne seine Frau und die elfjährigen Zwillingssöhne auskommen. "Es ist ein schlechtes Gefühl, an das wir uns leider gewöhnen mussten, denn diese Gefühle hat man ständig." Und die Traurigkeit werde von Monat zu Monat stärker. "Besonders an Familienfesten wie Weihnachten." Dabei versucht der 42-jährige, den Kindern auch Ängste zu nehmen, dass er ums Leben kommen kann. Denn er ist bei der ukrainischen Armee rund 100 Kilometer südlich von Kiew stationiert. Damit lebt er mehr als 1000 Kilometer von Frau und Kindern im polnischen Posen entfernt.

Zwischen Vasyl Vasylenko und seiner Familie in Wien liegen fast 1500 Kilometer. "Meine Frau und mein 14-jähriger Sohn sehnen sich zurück", so der dunkelhaarige Leutnant. "Ich habe es mit meiner Frau so besprochen. Für den Moment sagen wir, sie kommen im Frühjahr zurück. Wir haben Probleme mit der Infrastruktur und wir müssen schauen, wie alles läuft. Deswegen warten wir im Moment noch ab."

Vasyl Vasylenko und Oleksandr Zabrotskyj. Ihre Familien sind in Österreich bzw. Polen

Vasyl Vasylenko und Oleksandr Zabrotskyj. Ihre Familien sind in Österreich und Polen.

Soldaten können Land vorübergehend verlassen

Als Armeeangehörige können Vasylenko und Zabrotsky trotz des Kriegsrechts die Ukraine zumindest vorübergehend verlassen. Zivilisten ist das nur in Ausnahmen erlaubt. Etwa wenn sie drei minderjährige Kinder haben oder als Ehrenamtliche humanitäre medizinische oder militärische Hilfe organisieren. Auch Eisenbahner, Matrosen, Männer mit bescheinigter Behinderung, Sportler oder Fahrer mit bestimmten Aufträgen dürfen ausreisen.

In den Tagen nach dem russischen Großangriff am 24. Februar begleiteten viele Väter ihre Familie an die Grenze zu Rumänien oder Polen und fuhren dann zurück. Auch Vasylenko machte das so. "Als wir unterwegs waren, dachten sie bis zum Schluss, dass ich mitgehen würde. Ich habe erst an der Grenze gesagt, dass es nicht geht. Und jetzt meinen sie, ich könnte dort gar nicht leben. Aber ich bin an die Wälder und die Flüsse hier gewöhnt. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und irgendwie passt Europa für mich als Ukrainer nicht. Das ist jetzt nur meine persönliche Meinung." Er hoffe, dass er nach einem Sieg in sein Leben als Geschäftsmann zurückkehren kann. Es müsse ja alles wieder aufgebaut werden. "Ich möchte wirklich niemanden beleidigen, aber Europa das wäre irgendwie nichts für mich."

"Vor uns liegen noch viele Feiertage"

Dass auch Zivilisten grundsätzlich in der Ukraine bleiben müssen, finden beide Väter richtig. Anders als Vasylenko träumt Zabrotskyj seinen europäischen Traum. "Ich denke, alle Ukrainer sollten Europa bereisen, um die Verschiedenheit dort zu sehen. Das Konzept der Demokratie und europäischer Werte - ich fände es wichtig , dass alle Ukrainer mindestens halb Europa kennenlernen würden", sagt er. 

Der bärtige Zahnarzt Taras bedauert, dass viele Väter von ihren Familien getrennt sind, sieht es aber so: "Wir sollten den Grund nicht vergessen. Wir haben eine russische Großinvasion und hier geht es um unser Überleben. Es ist nicht schlimm, wenn wir in diesem Jahr nicht zusammen feiern können. Der Frühling wird kommen und vor uns liegen noch viele Feiertage, die wir gemeinsam verbringen können."

Andrea Beer, WDR, zzt. Kiew, 25.12.2022 05:47 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 24. Dezember 2022 um 07:48 Uhr.