Zerstörtes Hau sin Kiew nach einem russischen Angriff | EPA

Krieg gegen die Ukraine Drohnen-Attacken auf Wohnhäuser und Infrastruktur

Stand: 17.10.2022 17:59 Uhr

Bei erneuten russischen Angriffen in der Ukraine kamen auch Drohnen zum Einsatz. In Kiew wurden Wohnhäuser zerstört, mehrere Menschen starben. Vielerorts fiel der Strom aus. Die Regierung bat erneut um Luftabwehr.

Russland hat sein Nachbarland Ukraine mitten im morgendlichen Berufsverkehr erneut mit Luftschlägen überzogen. Laut Bürgermeister Vitali Klitschko kamen "Kamikaze-Drohnen" zum Einsatz - mit Sprengstoff beladene Flugkörper, die kurz über ihren Zielen zum Absturz gebracht werden. Hauptziel war offenbar das Energieunternehmen Ukrinergo, doch auch Wohnhäuser wurden getroffen und in Brand gesetzt, etwa im zentral gelegenen Stadtteil Schewtschenko. Mehrere Menschen starben, viele wurden verletzt.

Aus einem stark beschädigten Wohnhaus konnten mindestens 18 Menschen gerettet werden, sagte Kyrylo Tymoschenko, der stellvertretende Leiter des Präsidialbüros. Drei Menschen seien getötet worden, als eine der Drohnen in das vierstöckige Gebäude gekracht sei.

"Ich zittere immer noch"

Er habe noch nie so viel Angst gehabt, sagte ein junger Mann, der mit seinen Freunden in dem Haus wohnt und den Angriff überlebt hat: "In der Nachbarwohnung gab es eine riesige Explosion. Die war gewaltig, ich zittere immer noch." Ein anderer Bewohner berichtet: "Nach der ersten Explosion fingen die Leute an zu schreien, dann die zweite und die dritte und die vierte hinterher. Alle lagen am Boden."

Auch andere ukrainische Regionen meldeten heftigen Beschuss - teils ebenfalls mit Drohnen, teils mit Raketen. Landesweit gab es dem Präsidialbüro zufolge mindestens sieben Tote. Mehrere Stunden lang war im gesamten Land Luftalarm, einmal am Morgen, dann am Nachmittag wieder. Betroffen von den morgendlichen Einschlägen waren auch die Gebiete Odessa, Sumy und Dnipropetrowsk.

Stromausfälle in vielen Orten

Russlands Verteidigungsministerium bestätigte, es erneut auf die Energie-Infrastruktur des Nachbarlands abgesehen zu haben. In Hunderten ukrainischen Orten fiel der Strom aus, unter anderem in Lwiw im Westen des Landes. Landesweit waren die Menschen aufgerufen, besonders in den Abendstunden keine elektronischen Geräte zu benutzen, damit es nicht zu noch größeren Engpässen kommt. Das von Russland besetzte Atomkraftwerk Saporischschja wurde erneut von der externen Stromversorgung abgeschnitten.

Menschen kaufen in einem wegen eines Stromausfalls im Dunkeln liegenden Supermarkts in Charkiw ein.  | REUTERS

Wie hier in Charkiw fiel vielerorts der Strom aus. Ein Supermarkt liegt weitgehend im Dunkeln. Bild: REUTERS

Als Reaktion auf eine Explosion an der für Russland strategisch wichtigen Krim-Brücke zur annektierten Schwarzmeer-Halbinsel ließ Kremlchef Wladimir Putin bereits vor einer Woche die Ukraine in weiten Teilen beschießen. Nun werden in sozialen Netzwerken Fotos geteilt, die Trümmer von iranischen "Kamikaze-Drohnen" zeigen sollen, mit denen Moskau den Angaben aus Kiew zufolge verstärkt angreift. Die iranische Führung bestreitet, Russland mit Waffen beliefert zu haben.

Gegen Angriffe mit den vergleichsweise kleinen und niedrig fliegenden Drohnen ist die ukrainische Luftabwehr offenbar nicht ausreichend gerüstet. Sicherheitskräfte in Kiew versuchten am Morgen, herannahende Drohnen mit Gewehren abzuschießen.

Polizisten in Kiew versuchen, Drohnen abzuschießen (Archivbild). | REUTERS

In Kiew schossen Polizisten mit Gewehren auf die herannahenden Drohnen. Bild: REUTERS


Der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, forderte vor diesem Hintergrund: "Wir brauchen mehr Systeme für die Luftverteidigung und so bald wie möglich." Es sei keine Zeit, um langsam zu handeln. Auch Klitschko forderte erneut mehr Luftabwehrraketen. In der ARD sagte er:

Wir brauchen Schutz und Sicherheit für unsere Bevölkerung. Deshalb bitten wir unsere Partner um mehr Systeme, mit denen wir das Leben unserer Bürger schützen können. Jeden Tag sterben unschuldige Menschen, Zivilisten. Auch heute früh, viele hatten keine Zeit, ihr Haus zu verlassen, als eine Kamikaze-Drohne ihr Haus zerstörte.

Im Süden des Landes setzt die Ukraine bereits das vor wenigen Tagen von Deutschland gelieferte Flugabwehrwehrsystem IRIS-T ein. Außenminister Dmytro Kuleba meldete sich noch während des Alarms aus einem Luftschutzbunker - und pochte ebenfalls auf weitere Hilfe. "Die ganze Nacht und den ganzen Morgen terrorisiert der Feind die Zivilbevölkerung", erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Kamikaze-Drohnen und Raketen greifen die ganze Ukraine an." Und: "Der Feind kann unsere Städte angreifen, aber er wird nicht in der Lage sein, uns zu brechen."

Moskau: Auch US-Waffen vernichtet

Russland hatte den Westen immer wieder gewarnt vor der Lieferung schwerer Waffen und sieht etwa die USA bereits als Kriegspartei. In Moskau sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, dass Russland einmal mehr auch US-Waffen vernichtet habe. Das Militär habe "mit Hochpräzisionswaffen einen Großangriff auf militärische Einrichtungen und die Energie-Infrastruktur in der Ukraine durchgeführt." Dabei seien "alle Ziele nach Plan getroffen" worden.

Die ukrainische Luftwaffe hingegen teilte mit, alleine von den mehr als 40 Drohnen sei der Großteil zwischen den frühen Morgenstunden und dem Mittag abgefangen worden. Aus dem Präsidentenbüro hieß es, die Angriffe zeigten Russlands Verzweiflung in dem bereits seit knapp acht Monaten andauernden Krieg. Weil es auf dem Schlachtfeld keine Erfolge gebe, schlage Russland feige mit Raketen zu. Viele Ukrainer legten nach den neuen Angriffen wieder eine bemerkenswerte Unerschrockenheit und entschlossenen Willen zum Widerstand an den Tag.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Alltag im Krieg

Unerschrocken zeigten sich in der Tat viele Menschen in Kiew: Zwar erschütterten die Bilder insbesondere von dem beschädigten Wohnhaus viele Hauptstädter. Dennoch gingen sie nur wenige Minuten nach dem Ende des Luftalarms wieder auf die Straßen, führten Hunde aus und tranken Kaffee bei Sonnenschein. Auf einem Spielplatz tobten Kinder nun nicht nur auf Klettergerüsten, sondern auch in einem metertiefen Einschlagsloch.

Er habe schon längst keine Angst mehr vor den russischen Geschossen, sagte ein älterer Mann namens Viktor, der im Zentrum von Kiew mehrere Wohnungen vermietet. "Wir sind hier in den vergangenen Monaten zu Fatalisten geworden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Rakete ausgerechnet dein Haus trifft, ist klein. Und wenn es doch passiert, dann ist es Zufall."

Mit Informationen von Bernd Musch-Borowska, WDR, zzt. Kiew

Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Oktober 2022 um 16:00 Uhr.