
Außenministerin in Kiew Baerbock fordert Aufklärung von Kriegsverbrechen
Als erstes deutsches Regierungsmitglied seit Ende Februar ist Außenministerin Baerbock nach Kiew gereist. In Butscha sprach sie von "Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und forderte Aufklärung.
Außenministerin Annalena Baerbock ist als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine in die Hauptstadt Kiew gereist. Baerbock wurde von einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft an dessen Haus empfangen. Die Ministerin wurde von der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa begleitet.
Die Grünen-Politikerin informierte sich zu Beginn ihres Besuches über die Lage im Vorort Butscha, wo nach dem Abzug der russischen Truppen mehr als 400 Leichen gefunden worden waren. Baerbock zeigte sich erschüttert über die Berichte und forderte Aufklärung der Vorfälle. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, sagte Baerbock:
Wir sind es diesen Opfern schuldig, dass wir hier nicht nur gedenken, sondern dass wir die Täter zur Verantwortung bringen und ziehen. Das werden wir als internationale Gemeinschaft tun. Das ist das Versprechen, was wir hier in Butscha geben können und geben müssen.
"Diese Opfer könnten wir sein"
Nachdem Baerbock in einer Kirche eine Kerze entzündet hatte, sagte sie, man glaube, in einer ganz normalen Kirche zu sein. Zugleich sei dies ein Ort, an dem "die schlimmsten Verbrechen, die man sich nur vorstellen kann, nicht nur sichtbar geworden sind, sondern passiert sind". Der größte Wunsch der Menschen sei es, der Welt deutlich zu machen, welche Verbrechen passiert seien und wie groß der Schmerz sei. Diesen Schmerz könne niemand nehmen, "aber wir können für Gerechtigkeit sorgen", sagte Baerbock.
Man spüre in Butscha eindringlich: "Diese Opfer könnten wir sein." Man sehe Spielplätze, Supermärkte, Menschen, die zur Arbeit gingen. "Und dann sieht man die schlimmsten Spuren von Verbrechen genau daneben." Eine Bombe sei direkt in den Supermarkt eingeschlagen. In der Kirche zeigten Bilder Menschen, die nur das getan hätten, was jeder Mensch tue, sagte Baerbock: Einkaufen gehen und die dabei kaltblütig ermordet worden seien.
In Butscha waren ukrainischen Behörden zufolge während der einen Monat dauernden russischen Besatzung Hunderte Zivilisten getötet worden. Nach dem Abzug der russischen Soldaten wurden in dem Ort die Leichen der Menschen gefunden. Auch andernorts gab es ähnliche Entdeckungen. Die russische Regierung weist die Verantwortung für die Taten zurück.
"Sie sind ein sehr tapferes Land"
Im Anschluss an Butscha reiste Baerbock weiter in den schwer zerstörten Kiewer Vorort Irpin. Dort zeigte sie sich beeindruckt vom Mut der Ukrainer im Kampf gegen die russische Aggression. "Sie sind ein sehr tapferes Land, und alles, was wir tun können ist, an Ihrer Seite zu stehen", sagte Baerbock. Bei den Gesprächen ging es auch um die Notwendigkeit, das Land von russischen Minen zu befreien. Große Teile des Gebiets um die Hauptstadt seien vermint, sagte Militärgouverneur Olexander Pawljuk.
Irpins Bürgermeister Olexander Markuschyn sagte bei dem Treffen mit Baerbock, dass viele Minenräumer in Zukunft gebraucht würden - auch für die Gebiete im Osten der Ukraine. Nach dem Abzug der russischen Truppen sind nach Darstellung des Bürgermeisters inzwischen wieder 25.000 Menschen in die Stadt zurückkehrt, 5000 waren es demnach zur Zeit der russischen Besatzung. 2000 Wohnungen und 35 Hochhäuser seien zerstört worden durch russische Angriffe.
"Irpin hat einen hohen Preis für den Sieg bezahlt", sagte Markuschyn. Er hatte der russischen Armee nach deren Abzug schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Es seien Zivilisten erschossen, Frauen vergewaltigt und Wohnungen geplündert worden. Baerbock betrat auch ein völlig zerbombtes Mehrfamilienhaus in der Stadt. "Außenministerin eines Landes im Frieden zu sein, ist einfach. Aber eine ganz andere Sache ist es, Bürgermeister im Krieg zu sein. Mein ganz großer Respekt", sagte die Grünen-Politikern.