
Erdogan droht Griechenland "Eines Nachts können wir kommen"
Seit Monaten schwelt ein Streit zwischen der Türkei und Griechenland über Grenzziehungen. Nun hat der türkische Präsident nachgelegt und an frühere Angriffe der Türkei auf Griechenland erinnert. Was bringt ihn so in Rage?
Das sogenannte "Teknofest" ist eine Institution in der Türkei. Kinder bestaunen Roboter, Schüler und Studenten kommen, um sich über moderne technologische Entwicklungen zu informieren oder ihre Erfindungen in Wettbewerben zu präsentieren. Größte Aufmerksamkeit bekommen stets die im Land entwickelten und produzierten Kampfdrohnen.
Diesen Rahmen nutzte der türkische Präsident vergangenes Wochenende, um Richtung Athen besorgniserregende Drohungen abzufeuern. "Hey Grieche. Blick zurück in die Geschichte. Wenn du es weiterhin zu weit treibst, hat das einen hohen Preis. Vergiss nicht Izmir", ließ Erdogan das Nachbarland wissen.
Erdogan erinnerte damit an den 9. September 1922. Vor hundert Jahren marschierten türkische Soldaten in die damals von Griechenland besetzten Hafenstadt Izmir ein. Danach brannten die armenischen und griechischen Viertel der Stadt.
Nach verschiedenen Darstellungen plünderten Türken die Geschäfte und Wohnungen der Minderheiten. Viele wurden auf der Flucht getötet. Bis heute gilt die Wiedereroberung Izmirs als griechischer Albtraum.
Vage und doch unmissverständlich
Erdogan ging verbal noch weiter. "Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir das Nötige tun. Eines Nachts können wir kommen." Diese Drohung wiederholte er am Vormittag vor dem Abflug zu einer Reise auf den Balkan. Welches Ziel er konkret meinte, ließ er jeweils offen. Doch alle verstehen, dass es um teilweise nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste liegende griechische Inseln geht, die, so die Lesart in Ankara, eigentlich zur Türkei gehören.
Die türkische Tageszeitung "Sözcu" benannte am Montag insgesamt 20 Inseln, die erst nach 2004 von Griechenland besetzt worden sein sollen.
Empörung über Zwischenfall
Die scharfen Drohungen sind Folge eines Vorfalls vom 23. August. Ein griechisches S-300 Raketenabwehrsystem habe türkische Kampfjets über dem Mittelmeer ins Visier genommen, beklagt das türkische Verteidigungsministerium. Es erkennt darin eine feindliche Handlung, insbesondere, weil beide Länder der NATO angehören. Nun will Ankara bei dem Militärbündnis Beweise vorlegen, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.
Griechenland bestreitet den Vorfall. Dort nehmen jedoch Regierung und Bevölkerung die türkischen Drohungen zunehmend ernst. Viele griechische Tageszeitungen titelten am Montag mit Erdogans Worten.
Athen befürchtet, dass der innenpolitisch stark unter Druck geratene türkische Präsident tatsächlich den NATO-Partner Griechenland trotz aller möglichen Konsequenzen durch die EU und Washington zu einem militärischen Konflikt provozieren könnte.

Wurden solche türkischen Jets von der griechischen Raketenabwehr ins Visier genommen? Die Darstellungen beider Seiten gehen auseinander.
Innenpolitisch unter Druck
Die Umfragewerte von Erdogans Partei AKP fallen Monat für Monat. Wären in Kürze Wahlen, dürfte er diese kaum gewinnen. Eine Krise mit dem Erzfeind Griechenland würde jedoch dazu führen, dass sich viele der eher nationalistisch eingestellten Türken hinter die Regierung stellen.
Selbst Oppositionelle sehen die Grenzen in der Ägäis, die durch den 1923 unterzeichneten Vertrag von Lausanne und den 1947 geschlossenen Vertrag von Paris gezogen wurden, kritisch. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs wurden Inseln wie Lesbos, Chios oder Samos, die nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste liegen, Griechenland zugesprochen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Italien die Dodekanes-Inseln an Griechenland ab. Zumindest im Lausanner Vertrag ist eine Entmilitarisierung der Inseln formuliert.
Ähnliche Motive in Athen?
Auf diese Entmilitarisierung pochte Erdogan wiederholt und mahnte, Griechenland verliere die Souveränität über die Inseln, wenn es weiterhin dort Soldaten stationiere. Serhat Güvenc, Professor für internationale Beziehungen an der Istanbuler Kadir-Has Universität, vermutet, dass auch Griechenland Interesse an einer eskalierenden Türkei haben könnte.
Das von den Griechen eingeschaltete Raketenabwehrsystem, mit dem offenbar türkische Kampfflugzeuge ins Visier genommen wurden, könnte Erdogan provozieren, selbst ein Raketenabwehrsystem an der türkischen Küste einzusetzen. Ankara hat vor drei Jahren von Russland S-400 Boden-Luft-Abwehrraketen gekauft und diese aufgrund US-amerikanischer Sanktionen bisher nicht genutzt.
Sollte der türkische Präsident diese Entscheidung fällen, würde es zu einer erneuten schweren Krise mit Washington kommen, die die Türkei weiter innerhalb der NATO isolieren dürfte, so Güvenc. Für Athen wäre das ein außenpolitischer Erfolg.

Chios ist eine der griechischen Inseln, die nur wenige Kilometer entfernt von der türkischen Küste liegen.
Säbelrassen und stille Kommunikation
An einen echten militärischen Konflikt glaubt der Wissenschaftler nicht, denn die Türkei und Griechenland hätten eine jahrzehntelange Erfahrung an gegenseitigen Provokationen und Säbelrasseln. Über die Jahre haben beide Länder Gesprächskanäle aufgebaut, die bisher dafür gesorgt haben, dass selbst in hochemotionalen Momenten die Lage nicht außer Kontrolle gerät und in Gewalt mündet.
Dennoch gehen viele Beobachter in der Region davon aus, dass Erdogan für den Machterhalt auch eine außenpolitische Krise nutzen würde. Wie weit er letztendlich geht, kann niemand vorhersagen.