Maria Roibu und Nina Geregh mit Schülerinnen und Schülern
Reportage

Schule in Transnistrien Ein Hort der Rebellion

Stand: 17.01.2023 03:57 Uhr

Eine Schule in Transnistrien, dem von Russland kontrollierten Gebiet Moldaus, wagt die ideologische Unabhängigkeit - und die Lehre auf Rumänisch. Wer dort arbeite, müsse Mut haben, sagt die Rektorin.

Von Andrea Beer, ARD-Studio Kiew

Maria Roibu und Nina Geregh zeigen die hellen, freundlichen Klassenzimmer des Gymnasiums "Alexander der Gute" in Bender. Die rund 90.000 Einwohner große Stadt im Osten der Republik Moldau liegt in Transnistrien - einem Gebiet, das seit rund 30 Jahren nicht mehr von der moldauischen Hauptstadt Chisinau kontrolliert wird.

Die selbsternannte "Republik Transnistrien" hat hier de facto das Sagen, ein Marionettenstaat von Moskaus Gnaden, in dem russische Truppen stationiert sind. Vor dem Scheinparlament in Tiraspol wacht eine meterhohe Leninstatue, es wehen russische Fahnen, und bezahlt wird mit einer Phantasiewährung, dem "transnistrischen Rubel". Doch die Schule ist ein Hort der Rebellion.

"Wer hier arbeitet, muss Mut haben"

"Wer hier arbeitet, muss Mut haben", sagt Maria Roibu, und Nina Ghereg nickt. Mit finanzieller und politischer Unterstützung aus Chinisau halten die beiden Schulleiterinnen die gesamtmoldauische Fahne hoch. Der Unterricht ist auf Rumänisch statt auf Russisch, und Gehirnwäsche gebe es bei ihnen nicht, betonen sie.

"Wir halten den Kindern keine langen Vorträge, sondern tun unsere Arbeit. Wir wollen die Kinder so vorbereiten, dass sie ihr Leben gut meistern können und gut zurechtkommen mit den Menschen ringsum, und dass sie möglichst viel Menschlichkeit mitbekommen."

Nina Geregh und Maria Roibu

Die Schulleiterinnen Nina Geregh und Maria Roibu sehen sich als Kämpferinnen für freie Bildung und um die rumänische Sprache in der politisch feindlichen Umgebung Transnistriens.

Lehrerinnen auf Barrikaden

Dafür gehen die kampferprobten Lehrerinnen auf die Barrikaden. Gemeinsam mit ihrem Team, engagierten Eltern, Schülerinnen und Schülern besetzten sie in den letzten drei Jahrzehnten mehrfach Schulgebäude, aus denen sie wieder verjagt werden. Sie blockieren Bahngleise, geben Unterricht in Parks, Wohnungen oder vor der Stadtverwaltung von Bender. "Mehrfach wurden wir mit Waffen und dem Tode bedroht", so Roibu.

Sie streicht sich durch die rote Kurzhaarfrisur und schaut zu ihrer Vizedirektorin hinüber. Deren Gedanken wandern zurück in die 1990er-Jahre. 1992 versuchte die Republik Moldau, das abgespaltene Transnistrien militärisch zurückzuerobern. Vergeblich, denn Transnistrien bekam Unterstützung aus Moskau.

Todesdrohungen von der Armee

Der berüchtigte russische General Alexander Lebed kommandiert die 14. Gardearmee. Sie ist bis heute in der Republik Moldau stationiert, da Russland alle bisherigen Abzugsabkommen ignoriert. Schon 1994 tobte der Kampf um das rumänisch-sprachige Gymnasium in Bender. Nina Geregh stellte sich damals sogar Aleksander Lebed entgegen. Sie spricht neben Rumänisch fließend Russisch und verstand sehr genau, wie der einflussreiche Afghanistanveteran ihr unverhohlen drohte.

"Lebed sagte: 'Versteht ihr überhaupt, was für eine Gefahr euch droht? Meine Leute könnten jetzt sofort mit einem Kühllastwagen kommen, euch hineinstecken und töten'", erinnert sich Geregh. "Dann sagte er noch, wir könnten auf seiner Militärbasis weiterreden, aber wir sind nicht mitgegangen."

"Glaubt den Russen nicht"

Die Drohung des russischen Generals erinnert an heutige Foltermethoden in der Ukraine durch Angehörige der russischen Armee. In Hostomel in der Region Kiew wurden nach Angaben der Polizei etwa 50 Menschen in Kühlräume gesperrt und dort gefoltert.

Die beiden moldauischen Pädagoginnen überrascht das nicht. Der russische Angriff auf das Nachbarland beunruhigt sie zutiefst. Von der Zukunft der Ukraine hängt auch die der Republik Moldau ab, deren proeuropäische Führung sich vom russischen Einfluss befreien will, sagen sie überzeugt. Das Land und seine Probleme erhalten durch den Angriff auf die Ukraine mehr Aufmerksamkeit, und davon erhoffen sich beide etwas. 

Jedes Mal, wenn wir mit den Vertretern Europas sprechen, dann sagen wir ihnen: 'Glaubt den Russen nicht.' Wir haben so viel Erfahrung mit ihnen, und wir wissen nur zu gut: Wenn sie das eine sagen, dann tun sie genau das Gegenteil.

"Russisch wird einem aufgezwungen"

Ein paar Schülerinnen und Schüler sitzen mit Geregh und Roibu in einer Runde. "Ich kenne die Geschichte der Schule, aber diese Details sind mir neu", meint die 17-jährige Anna Solotoi aus der elften Klasse bewundernd.

Sie kann sich keine bessere Schule vorstellen: "Ich fühle mich nirgends so frei wie hier bei uns in der Schule, weil ich hier Rumänisch reden kann. In der Stadt ist das schwieriger, das Russische wird einem richtig aufgezwungen, etwa auf Ämtern, wo man ohne Russisch nicht weiterkommt."

Über die "Grenze" zur Schule

Wer von Moldaus Hauptstadt Chisinau nach Transnistrien möchte, passiert eine Pufferzone. Mitten in der Republik Moldau stehen dort Menschen vor einem Kontrollhäuschen, in dem Männer mit russischer Uniform Ausweise kontrollieren. Auch Eduard überquert regelmäßig diese Pseudo-Grenze. Er wohnt nicht in Transnistrien, geht aber auf das Gymnasium "Alexander der Gute", weil seine Eltern die Schule schätzen. 

"An der Einfahrt nach Bender muss man eine Zoll- und Ausweiskontrolle passieren", beschreibt er seinen Alltag. "Seit etwa vier Jahren ist es leichter geworden, aber vorher musste man sich aufwendig registrieren lassen und erklären, wo man hingeht, wie lange der Aufenthalt dauert, was man dort zu tun hatte, und das jeden Tag aufs Neue."

"Wir sind wie eine Familie in der Schule", sagen die beiden Schulleiterinnen, Roibu und Geregh. Den Kampf darum sehen sie als Kampf um freie Bildung und um die rumänische Sprache in einer politisch feindlichen Umgebung. Aber auch als Ausdruck von Menschlichkeit und Mut.

Andrea Beer, WDR, zzt. Kiew, 16.01.2023 14:34 Uhr

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 16. Januar 2023 um 06:23 Uhr im Deutschlandfunk.