Der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis spricht auf einer Pressekonferenz in Bern.

Russischer Angriff auf die Ukraine Wie reagiert die neutrale Schweiz?

Stand: 25.02.2022 14:59 Uhr

Nachdem die Schweiz zunächst erklärt hatte, sich nicht an Sanktionen gegen Russland zu beteiligen, hat die Regierung nun die "Verschärfung" einzelner Maßnahmen angekündigt. Doch vielen geht das nicht weit genug.

Dass Russland mit dem Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht "massiv verletzt" hat - das verurteilt auch die Schweizer Regierung scharf. Und für Bundespräsident Ignazio Cassis ist der Tag der russischen Invasion "ein trauriger Tag, wie wir ihn schon lange nicht mehr gesehen haben. Ein Tag, wie wir ihn auch nie hätten sehen wollen."

Soweit so klar. Und Klarheit, so der Schweizer Bundespräsident, sei nun auch bei den Reaktionen gefragt. "Deshalb nimmt der Bundesrat angesichts des russischen Vorgehens eine klare Haltung ein."

Konkrete Maßnahmen bleiben unklar

Doch als es um die konkreten Konsequenzen ging, mit denen die Schweizer Regierung - der Bundesrat - auf den Völkerrechtsbruch reagieren wird, da blieb die Erklärung des Bundespräsidenten recht unklar. "Der Bundesrat hat heute seine Antwort verschärft. Die gestern erlassenen Sanktionen der EU sollen in Form von Umgehungsverhinderungsmaßnahmen in diese Verordnung integriert werden. Einzelne Maßnahmen werden verschärft."

Doch was genau bedeutet diese angekündigte Verschärfung? Wird die Schweiz sich nun doch, anders als noch am Mittwoch angekündigt, den Sanktionen von EU und USA anschließen? "Es wird sicher unter dem EU-Level bleiben", sagt der Basler Politikwissenschaftler Laurent Goetschel.

Der Bundesrat hat nicht gesagt: Wir übernehmen alle Sanktionen der EU. Er hat gesagt: Wir übernehmen die Sanktionen der EU in Bezug auf Donezk und Luhansk. Für alles andere folgt er der gleichen Philosophie wie 2014. Wie es gehandhabt wird - das wissen wir noch nicht.

Russische Konten sollen nicht eingefroren werden

2014, nach der russischen Annexion der Krim, hatte sich die Schweiz nicht an Sanktionen gegen Russland beteiligt, sondern - mit Verweis auf die traditionelle Neutralität des Landes - lediglich eine Verordnung erlassen, die die Umgehung der EU-Sanktionen über die Schweiz verhindern sollte. Und sehr viel weiter geht die Regierung in Bern auch jetzt nicht.

Noch ist zum Beispiel nicht beabsichtigt, die Konten bestimmter russischer Millionäre einzufrieren, wie es die EU-Sanktionen vorsehen. Man prüfe eine Verschärfung, sagte Botschafter Erwin Bollinger vom Staatssekretariat für Wirtschaft. Das werde aber noch einige Tage dauern. Für die zögerliche Reaktion der Regierung gibt es in der Schweiz viel Kritik.

Die Grünen-Politikerin Sibel Arslan ist Mitglied der außenpolitischen Kommission des Schweizer Parlaments. "Das ist natürlich enttäuschend, denn der Krieg hat leider schon angefangen. Und das ist schrecklich. Und in solchen Situationen müssen Länder - insbesondere so ein Land wie die Schweiz - rasch handeln. Und das ist immer noch nicht der Fall."

"Neutralität darf kein Hindernis sein"

Auch aus dem bürgerlichen Lager fordern Politikerinnen und Politiker, die Schweiz müsse jetzt schnell und uneingeschränkt EU-Sanktionen übernehmen. Schließlich hat das Land als Wirtschafts- und Finanzmarktstandort relevante Hebel in der Hand. So laufen zum Beispiel 80 Prozent des russischen Rohstoffhandels in der Schweiz. Christa Markwalder, FDP-Abgeordnete im Schweizer Parlament: "Ich denke, der Rohstoffhandel wird sicherlich noch in den Fokus rücken."

Die Frage ist wann. Die Neutralität des Landes, sagt Politikwissenschaftler Laurent Goetschel, dürfte jedenfalls kein Hindernis sein. Die Frage sei vielmehr, ob die neutrale Schweiz bereit ist, den russischen Völkerrechtsbruch nicht nur politisch zu verurteilen, sondern auch wirtschaftlich zu sanktionieren. "Es heißt ja nicht, weil man neutral ist, dass man zu politischen Konflikten keine Stellung beziehen darf. Diesen Spagat hat sie bisher geschafft - ob im Wirtschaftsbereich, muss man sehen."

Kathrin Hondl, Kathrin Hondl, ARD Genf, 25.02.2022 13:43 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 25. Februar 2022 um 12:50 Uhr.