
Warnung an Großbritannien "Rührt das Nordirland-Protokoll nicht an"
Beim Brexit wurde vereinbart, dass für Nordirland besondere Zollregeln gelten. Kanzler Scholz und der belgische Regierungschef de Croo warnen Großbritannien nun eindringlich davor, diese Vereinbarung aufzuheben. Auch die EU wird deutlich.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der belgische Ministerpräsident Alexander de Croo haben die britische Regierung davor gewarnt, die beim Brexit vereinbarten Zollregelungen für Nordirland - das sogenannte Nordirland-Protokoll - aufzukündigen. Scholz sagte nach einem Gespräch mit de Croo in Berlin, das Protokoll sei eine "gute Regelung".
Niemand sollte die Regeln, die wir miteinander vereinbart haben, außer Kraft setzen oder brechen.
Die EU-Kommission sei mit größtem Pragmatismus bereit, Probleme bei der Umsetzung des sogenannten Nordirland-Protokolls zu lösen. "Aber das sollte auch der Weg sein, den wir weiter gehen", sagte Scholz. Auch de Croo warnte London vor einseitigen Schritten: "Unsere Botschaft ist ganz klar: Rührt das nicht an. Das ist etwas, worauf wir uns geeinigt haben." Eine Aufkündigung der Protokolle würde alle Brexit-Regeln hinfällig machen, erklärte de Croo bei dem Treffen mit Scholz.
Sefcovic: Neuverhandlung keine Option
Das Protokoll soll Kontrollen an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Republik Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland vermeiden. Dafür müssen aber Waren kontrolliert werden, wenn sie von Großbritannien nach Nordirland gebracht werden, um EU-Standards einzuhalten. Faktisch verläuft damit eine Zollgrenze durchs Vereinigte Königreich.
Die EU-Kommission erteilte Forderungen nach Neuverhandlungen eine Absage, sollte es zu einem Bruch dieser Vereinbarung kommen. Das Protokoll sei integraler Bestandteil einer "positiven und stabilen Beziehung" zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich, teilte EU-Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic mit. Brüssel sei offen, weiterhin über die Umsetzung der Vereinbarung zu verhandeln. Eine grundlegende Neuverhandlung sei aber "keine Option", darin sei sich die EU einig, so Sefcovic. London warnte er davor, einseitige Schritte zu unternehmen.
Auch die irische Regierung in Dublin richtete mahnende Worte an den britischen Premierminister Boris Johnson. Vizeregierungschef Leo Varadkar sagte dem irischen Rundfunk RTÉ, es handele sich um einen internationalen Vertrag. London müsse seinen Verpflichtungen nachkommen.
Schwierige Regierungsbildung
Der Streit um das Protokoll hemmt auch die Regierungsbildung in Nordirland. Bei der Parlamentswahl wurde erstmals die katholische Partei Sinn Fein stärkste Kraft. Sie verfolgt das Ziel einer Vereinigung von Nordirland und Irland. Das Friedensabkommen von 1998 sieht jedoch vor, dass die Regionalregierung von den katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten gemeinsam geführt werden muss.
In der Praxis heißt das nun, dass die pro-britische DUP (Democratic Unionist Party) bei einer Regierungsbildung zustimmen muss. Die DUP ist aber gegen den im Brexit-Abkommen Sonderstatus für Nordirland und blockiert bislang die Bildung einer neuen Regionalregierung.
Johnson sieht Protokoll als nicht "tragfähig"
Nach der Wahl hatte der irische Ministerpräsident Micheal Martin den britische Premierminister Johnson bereits davor gewarnt, die mit der EU vereinbarten Regeln für den Handel im britisch geführten Nordirland nach dem Brexit einseitig außer Kraft setzen zu wollen.
Eine Entscheidung diesbezüglich sei noch nicht gefallen, betonte ein Sprecher von Johnson am Dienstag. Johnson hatte in einem Telefonat mit Martin allerdings betont, die Regionalwahl in Nordirland habe "erneut gezeigt, dass das Protokoll in seiner jetzigen Form nicht tragfähig ist".
Berichte über Aufkündigung
Die britische Außenministerin Liz Truss will einem Zeitungsbericht zufolge große Teile des Nordirland-Protokolls streichen. Das Ministerium soll demnach einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet haben, der einseitig alle Kontrollen für Waren aus Großbritannien aufheben würde. Eine entsprechende Ankündigung werde kommende Woche erwartet, hießt es in dem Zeitungsbericht.