
Anordnung von Putin "Abschreckungskräfte" in Alarmbereitschaft
Russlands Präsident Putin versetzt die sogenannten Abschreckungskräfte des Landes in Alarmbereitschaft. Diese umfassen auch Atomwaffen. Grund sei das "aggressive Verhalten" der NATO. Die USA sprechen von einer "inakzeptablen Eskalation".
Der russische Präsident Wladimir Putin hat inmitten der Spannungen mit dem Westen wegen des Kriegs in der Ukraine die "Abschreckungskräfte" seines Landes in Alarmbereitschaft versetzt. Das teilte er bei einem Treffen mit seinen Spitzenberatern mit. Diese sogenannten Abschreckungskräfte umfassen auch Atomwaffen.
"Aggressive Erklärungen" und Sanktionen als Begründung
"Ich weise den Verteidigungsminister und den Generalstabschef an, die Abschreckungskräfte der russischen Armee in besondere Kampfbereitschaft zu versetzen", sagte Putin in einem im Fernsehen übertragenen Gespräch mit hochrangigen Militärvertretern. NATO-Mitglieder hätten "aggressive Erklärungen" abgegeben, erklärte Putin. Damit bezieht sich der Kreml-Chef offenbar auf harte finanzielle Sanktionen gegen Russland und ihn selbst. Verteidigungsminister Sergej Schoigu und den Generalstabschef habe er angewiesen, die nuklearen Abschreckungskräfte in ein "spezielles Regime der Kampfbereitschaft" zu versetzen.
"Wie Sie sehen können, ergreifen die westlichen Länder nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht unfreundliche Maßnahmen gegen unser Land", sagte Putin. "Ich meine die illegalen Sanktionen, die jeder sehr gut kennt." Russlands Präsident hatte in den vergangenen Tagen bereits mit "furchtbaren Folgen" gedroht, sollte ein Land im Ukraine-Krieg direkt intervenieren. Seine Order bedeutet, dass russische Atomwaffen in eine erhöhte Startbereitschaft versetzt werden.
"Inakzeptable Eskalation"
Aus dem Weißen Haus in Washington hieß es in einer ersten Stellungnahme, Putins Befehl sei Teil seiner Strategie, ein erfundenes Bedrohungsszenario zu entwerfen, um die eigenen Aggressionen zu rechtfertigen. "Wir haben gesehen, wie er immer und immer wieder so verfahren ist. Russland war zu keinem Zeitpunkt bedroht - weder von der NATO, noch von der Ukraine", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, im US-Fernsehsender ABC. "Wir sind in der Lage, uns selbst zu verteidigen, aber wir müssen auch klar benennen, was uns Präsident Putin hier bietet."
Die Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, nannte den Schritt Russlands eine inakzeptable Eskalation. "Das bedeutet, dass Präsident Putin den Krieg anhaltend und auf inakzeptable Weise vorantreibt", sagte die Diplomatin im US-Fernsehsender CBS. "Wir müssen seinen Taten weiter auf die schärfstmögliche Weise Einhalt gebieten."
Stoltenberg besorgt
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich besorgt über die Entscheidung Putins. "Das zeigt, wie ernst die Lage ist und warum wir wirklich zusammenstehen müssen", sagte er am Sonntag in einem BBC-Interview. Zu einer möglichen Reaktion der NATO auf Putins Ankündigung machte er zunächst keine Angaben.
Automatismen für einen solchen Fall gibt es nach Bündnisangaben nicht. NATO-Entscheidungen müssen von allen 30 Mitgliedstaaten im Konsens getroffen werden. Die NATO-Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien könnten aber bereits reagieren.
Praktische Folgen bleiben unklar
Die praktischen Folgen der vom russischen Präsidenten öffentlich erteilten Weisung blieben zunächst unklar. Russland und die USA haben normalerweise mit Nuklearwaffen bestückte Teile ihrer atomar ausgerüsteten Einheiten an Land und auf See jederzeit in Alarm- und Gefechtsbereitschaft - nicht aber atomwaffenfähige Bomber und andere Flugzeuge ihrer Luftwaffen.
Sollte Putin die nukleare Gefechtsbereitschaft für seine Bomber anordnen oder mehr mit ballistischen Raketen bestückte U-Boote auf See beordern, könnte das nach Einschätzung des Nuklear-Analysten der Vereinigung Amerikanischer Wissenschaftler, Hans Kristensen, zu gleichen Maßnahmen der USA führen. Das könnte eine besorgniserregende Eskalation und eine potenzielle Krise zur Folge haben, sagte er.
Experte setzt auf direkte Verhandlungen
Thomas Wiegold, Journalist und Militärexperte, erklärte auf tagesschau24, an sich sei Putins Drohung mit Nuklearwaffen nicht neu; sie habe es auch schon 2014 bei der Annexion der Krim gegeben. "Ein bisschen überraschend und vielleicht auch erschreckend ist diese recht schnelle Eskalation von der Ankündigung, den Nachbarn in den neu anerkannten Republiken im Donbass zu helfen, bis zu dieser unverhohlenen Drohgebärde mit Atomwaffen."
Was letztendlich dahinter stecke, könne man zum jetzigen Zeitpunkt nicht einschätzen, so Wiegold. Zur Deeskalation der Lage könne man nur versuchen, möglichst direkte Gespräche zwischen den USA und der NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite zu führen. Schon im Kalten Krieg habe es Mechanismen zur Konfliktvermeidung gegeben; man habe Wege etabliert, miteinander zu reden.
"Das ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich weniger geworden, und eigentlich kann man jetzt nur hoffen, dass es zumindest noch Gesprächskanäle gibt, wo - von Moskau nach Brüssel, nach Washington - direkte Kontakte möglich sind, um auch nur Missverständnisse, falsch verstandene Andeutungen nicht weiter eskalieren zu lassen", so Wiegold.
Auch Lambrecht sieht Probleme bei der Kommunikation
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bestätigte im ARD-Bericht aus Berlin, dass die Kommunikation mit dem Kreml massiv erschwert sei. "Es ist sehr schwer, zu Putin einen Kanal offen zu halten; zu jemandem, der lügt, betrügt, der völlig unberechenbar ist - zu dem einen solchen Gesprächsfaden aufzubauen", erklärte die SPD-Politikerin. Es sei gut, dass jetzt seitens der Ukraine gesprochen werde.
"Aber nichtsdestotrotz sind solche Ankündigungen natürlich ernst zu nehmen. Wir beobachten die über Aufklärung sehr besorgt", sagte Lambrecht angesichts der heutigen Erklärung Putins. "Es wird auch in der NATO darüber zu sprechen sein, wie man darauf reagiert, ohne jetzt weiter eskalierend zu wirken. Denn darum geht es jetzt auch: einen kühlen Kopf zu bewahren in dieser sehr, sehr schwierigen Situation."
Anti-Kriegs-Demonstrationen in Russland - viele Festnahmen
Offenbar auch als Reaktion auf Putins Anordnung sind in vielen russischen Städten Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren. Demonstranten riefen "Nein zum Krieg".
In St. Petersburg, wo sich Dutzende Menschen im Stadtzentrum versammelten, griff die Polizei ein und nahm Demonstrierende fest - obwohl die Kundgebung offenbar friedlich verlief und es keine Zusammenstöße gab.
Die Menschenrechtsgruppe OWD Info, die die Proteste beobachtet, teilte mit, bis Sonntagnachmittag habe es in 44 russischen Städten mehr als 900 Festnahmen bei Anti-Kriegs-Kundgebungen gegeben.