Mikrofone sind bei einer Pressekonferenz in Wien (Österreich) zu sehen.

Pressefreiheit in Österreich "Diesen Absturz kann man nicht mehr schönreden"

Stand: 03.05.2022 06:00 Uhr

Seit Jahren zählt Österreich nicht mehr zu den Staaten mit optimaler Pressefreiheit. Im neuen Ranking von Reporter ohne Grenzen hat das Land Plätze eingebüßt. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Österreichs meinungsstarkes Wochenblatt "Falter" definiert die Frage, wo der "Balkan" beginnt, diese Woche neu: am Bodensee, in Bregenz. Dort spielt die jüngste österreichische Polit-Affäre. Und wieder ist die sogenannte "Inseratenkorruption" Teil des Problems, eine österreichische Spezialität und mit einer der Gründe, warum Österreich im internationalen Pressefreiheits-Index erneut abgestürzt ist - vom schon nicht so guten Platz 17 auf Platz 31.

Fängt der "Balkan" wirklich schon in Bregenz an? Im Prinzip ja, sagt Andy Kaltenbrunner, Geschäftsführer des "Medienhauses" in Wien: "Österreich ist auf einem Scheideweg. Es kann sich nach dem Norden orientieren oder mehr nach dem Osten. Und in den letzten Jahren haben wir eine Orientierung nach dem Osten erlebt, das ist nicht gut."

Eine steile These? In Kaltenbrunners Wiener Büro stapeln sich die Beweise. "Scheinbar transparent" heißt seine Studie. Es geht um "Inserate und Presseförderung" in Österreich. Das Prinzip: Die öffentliche Hand gibt Steuer-Geld, schaltet dafür Anzeigen. Das kann völlig in Ordnung sein und auch sinnvoll, wenn es um Aufklärung der Bevölkerung geht, zum Beispiel in Zeiten der Pandemie. Es ist aber nicht immer in Ordnung. Kaltenbrunner: "Weil das nach Gutsherrenart vergeben wurde. Wer gefällt und wer gehorcht, bekommt mehr Geld: Das ist da unausgesprochen der Fall, das wurde häufig so gelebt, und das ist natürlich schlecht."

Wenn Gefälligkeitsberichte zum Deal gehören

Es geht um viel Geld: 200 Millionen Euro österreichweit, jedes Jahr. Auf Deutschland umgerechnet wären das zwei Milliarden Euro Staatsgelder an Medien. Undenkbar - vor allem, wenn Gefälligkeitsberichte mit zum Deal gehören. Deswegen ermittelt in Wien zur Zeit die Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sie arbeitet das "System Kurz" auf. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Behörden nicht zur Auskunft verpflichtet

Ein zweiter Grund für den Absturz Österreichs im Pressefreiheits-Index: staatliche Geheimnistuerei. Dazu sagt Kaltenbrunner: "De facto ist Österreich ein Land, wo immer wieder das Amtsgeheimnis regiert und Journalisten gar nicht Informationen bekommen, die von öffentlicher Bedeutung sind. Wenn wir wissen wollen, wie die vielen Milliarden an Fördergeldern vergeben wurden im Bereich der Corona-Hilfen, so haben wir kaum eine Chance zu erfahren, welche Unternehmen da besonders bedacht wurden und welche nicht."

Österreich ist das einzige EU-Land ohne Informationsfreiheits-Gesetz, ein Gesetz, das Behörden verpflichtet, Journalistinnen und Journalisten im öffentlichen Interesse Auskunft zu geben. Die müssen sich das erst hartnäckig bis zur letzten Instanz vor Gericht erstreiten, welche Corona-Hilfen an wen flossen, wie der eben dafür preisgekrönte ORF-Reporter Martin Thür.

Ist er ein Beweis, dass am Ende in Österreich doch alles rauskommt, vieles gar nicht so schlecht läuft? Kaltenbrunner widerspricht: "Ich glaube, dass wahnsinnig viel unter der Decke bleibt und wir sind immer wieder erstaunt, wenn etwas aufpoppt, wenn trotzdem hartnäckige Journalisten, investigative Journalisten gegen alle Widerstände einen Zipfel lüften."

"Es gibt einen Hoffnungsschimmer"

Es hat sich viel angesammelt im vergangenen Jahr. Minus 14 Plätze, "diesen Absturz kann man nicht mehr schönreden", sagt die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen. Sie bewertet den Grad der "Pressefreiheit" weltweit und liefert Österreich jetzt den Aufreger des Tages.

Gut so, meint Kaltenbrunner und setzt auf "gute Besserung": "Der einzige Hoffnungsschimmer, den ich sehe, ist, dass inzwischen viel mehr als die üblichen Verdächtigen darüber diskutieren und dass es nicht zuletzt durch diese großen Skandale, die zu Regierungsumbildungen geführt haben, für die Zivilgesellschaft umso klarer geworden. Also: Es gibt einen Hoffnungsschimmer, dass doch in kleinen Schritten in die andere Richtung gegangen wird."

In Richtung Norden, dort wo Norwegen steht, auf Platz 1. Das mit dem sogenannten Balkan ist im Übrigen etwas ungerecht. Einige dort haben sich dieses Jahr doch wieder etwas nach oben gearbeitet im Index: Kroatien (plus 8 auf Rang 48), Nordmazedonien (plus 33 auf Rang 57), Kosovo (plus 17 auf Rang 61), Montenegro (plus 41 auf Rang 63), Bulgarien (plus 21 auf Rang 91).

Wolfgang Vichtl, Wolfgang Vichtl, ARD Wien, 03.05.2022 06:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 03. Mai 2022 um 07:50 Uhr.