Rettungsschiff "Geo Barents"

Italiens neue Regierung Erschwerte Seenotrettung

Stand: 13.01.2023 15:02 Uhr

Nach tagelanger Fahrt durfte das Rettungsschiff "Geo Barents" endlich in Italien anlegen - in Ancona, weit entfernt vom Rettungsgebiet. Dahinter steckt eine neue Strategie der rechten Regierung Meloni.

Jana Ciernioch von Ärzte ohne Grenzen ist erleichtert. Endlich hat die "Geo Barents", das Schiff ihrer Hilfsorganisation, im Hafen von Ancona anlegt, und die von Ärzte ohne Grenzen geretteten Menschen konnten an Land gehen. Ciernioch ist aber auch verärgert - über das Verhalten der italienischen Regierung.

"Das, was wir die letzten viereinhalb Tage an Bord der 'Geo Barents' auf dem Mittelmeer erlebt haben, war absolut vermeidbar", sagt die Seenothelferin. Es sei "verantwortungslos", was die italienische Regierung getan habe - "uns mit 73 geretteten Menschen an Bord von der libyschen Küste über das Adriatische Meer bis nach Ancona zu schicken". Zuletzt seien fast alle Geretteten seekrank gewesen und hätten mit Medikamenten behandelt werden müssen.

Zuweisen weit entfernter Häfen hat Methode

Der Hafen Ancona in der nördlichen Hälfte Italiens liegt mehr 1500 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem die Hilfsorganisation den Migrantinnen und Migranten in Seenot geholfen hat. Das Zuweisen weit entfernter Häfen ist ein neues Vorgehen der italienischen Regierung, das Methode hat.

Rom schickt derzeit die Schiffe der Nicht-Regierungsorganisationen, die Menschen auf dem Mittelmeer retten, fast immer in Häfen in Mittel- oder sogar Norditalien. Außer nach Ancona mussten die Rettungsschiffe unter anderem nach Salerno, Livorno oder sogar Ravenna fahren - eine Hafenstadt, die näher an Deutschland als an Sizilien liegt.

Innenminister Matteo Piantedosi verteidigt die neue Regierungspolitik: "Dies ist nur eine gerechte Verteilung auf in Frage kommende Orte für eine Anlandung - mit dem Ziel, so viel wie möglich, Sizilien und Kalabrien zu entlasten". Diese beiden süditalienischen Regionen, sagt Piantedosi, dürften nicht weiter die Hauptlast tragen und "dazu verurteilt werden, das Flüchtlingscamp ganz Europas zu sein".

In der Vergangenheit hat die italienische Koordinierungsstelle den Rettungsschiffen fast immer Häfen in Sizilien und Kalabrien zugewiesen - weil diese am schnellsten nach Einsätzen im zentralen Mittelmeer zu erreichen sind.

Neues Sicherheitsdekret - umfangreiche Strafen

Die jetzige Strategie, Rettungsschiffe viele Tage in weit entfernte Häfen fahren zu lassen, ist Teil der aktuellen Anti-Migrationspolitik der Regierung Meloni. Zum Jahreswechsel ist ein Sicherheitsdekret in Kraft getreten, das den Rettern strengere Vorschriften macht. Zum Beispiel müssen sie jetzt sofort nach einer erfolgten Seenotrettungsaktion mit der italienischen Leitstelle Kontakt aufnehmen und sich einen Hafen zuweisen lassen, ohne zu weiteren Rettungseinsätzen zu fahren. Auch das Übergeben geretteter Menschen auf ein anderes, beispielsweise größeres Schiff ist nun verboten.

Für Verstöße hat die Regierung in Rom einen umfangreichen Strafenkatalog beschlossen. Beginnend mit Geldstrafen für die Kapitänin oder den Kapitän bis hin zur Beschlagnahme des betreffenden Schiffes. Vorschriften, sagt Ciernioch, die ein klares politisches Ziel hätten: "Das neue italienische Gesetzesdekret zielt ganz klar darauf ab, die zivilen Seenotrettungsschiffe vom Meer fernzuhalten und damit die Ankünfte in Italien zu reduzieren".

Die Nicht-Regierungsorganisationen, meint die Vertreterin von Ärzte ohne Grenzen, "sollen so lange wie möglich dort ferngehalten werden, wo sie am meisten gebraucht werden: vor der libyschen Küste in den internationalen Gewässern, wo, wie wir wissen, die meisten Seenotrettungsfälle passieren."

Nichtregierungsorganisationen prüfen Klage

Die neue Politik Roms, kritisieren die auf dem Mittelmeer aktiven Nicht-Regierungsorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung, bedeute faktisch, dass die Rettungskräfte in ihrer Arbeit behindert würden, was "zu mehr Ertrinkenden im Mittelmeer" führe. Anwältinnen und Anwälte unter anderem von Ärzte ohne Grenzen prüfen derzeit mögliche Klagen gegen das in Rom beschlossene Dekret.

Für Italiens neue rechte Regierung ist Migration ein Thema mit hohem Symbolwert. Die jetzige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat ihren Wahlkampf unter anderem mit dem Versprechen bestritten, die Ankünfte von Migranten drastisch zu reduzieren. Bislang ist dieses Versprechen nicht in Erfüllung gegangen. Trotz der Gesetzesverschärfung sind, nach den offiziellen Zahlen des Innenministeriums, in den ersten Tagen des neuen Jahres über 3700 Bootsmigranten nach Italien gekommen - zehnmal mehr als im Vorjahr.

Jörg Seisselberg, Jörg Seisselberg, ARD Rom, 13.01.2023 12:45 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 13. Januar 2023 um 15:20 Uhr.