Pro-iranische Hisbollah-Kämpfer simulieren den Abschuss von Raketen auf eine israelische Siedlung während einer inszenierten Militärübung in einem Lager im südlibanesischen Dorf Aramta.

Israelisches Militär "Die Hisbollah will Grenzen neu austesten"

Stand: 25.05.2023 10:16 Uhr

Es war eine Aktion mit Symbolkraft: Hisbollah-Kämpfer absolvierten am Wochenende eine Militärübung, die einen Krieg mit Israel simulierte - umrahmt wurde das Ganze von aggressiven Tönen. Israel sieht die Entwicklung mit Sorge.

Erst Militärmusik, dann eine martiale Militärshow, bei der maskierte Kämpfer israelische Flaggen sprengen, durch brennende Reifen springen und mit scharfer Munition auf imaginäre israelische Ziele schießen: Die Hisbollah-Miliz - und das ist die Botschaft - scheint bereit zu sein, sich dem Todfeind im Süden zu stellen.

Eine Botschaft, die Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah auch verbal untermauert: "Der israelische Feind macht einen Fehler, wenn er Pläne schmiedet und denkt, er könne Syrien bombardieren und in Syrien Vergeltung üben, während sich Syrien in einem Krieg befindet und sich keiner neuen Front widmen kann. Aber diese Überlegungen können falsch sein und dieser Fehler kann sich jederzeit rächen."

Schärfere Töne nach jahrelanger Zurückhaltung

Gut ein Jahrzehnt lang hielt sich Nasrallah, der Chef der schiitischen Hisbollah-Miliz im Süden des Libanons, verbal weitgehend zurück. Das hat sich geändert. Nasrallah hält Israel durch die monatelangen Proteste gegen die Regierungspolitik im Inneren offenkundig für geschwächt. Offen spricht der Milizenchef nun von einer "Invasion in Galiläa". Aussagen, die bei führenden Militärs in Israel ernst genommen werden.

Aharon Haliva, der Direktor des militärischen Geheimdienstes in Israel, wurde in seiner Rede bei der Herzliya-Konferenz für einen Geheimdienstchef ungewohnt deutlich: "Seit dem Fehler, den Nasrallah 2006 beging, kann man inzwischen feststellen, dass die Hisbollah die Grenzen gegenüber dem Staat Israel neu austesten möchte", sagte Haliva. Nasrallah stehe kurz davor, einen Fehler zu begehen, der die ganze Region in einen großen Krieg ziehen könnte.

Militärische Auseinandersetzung gilt als ein Szenario

Der Fehler von 2006, von dem der Geheimdienstchef spricht, war die Entführung zweier israelischer Soldaten durch die Hisbollah. Eine Aktion, die den 34-tägigen Libanon-Krieg auslöste mit mehr als 1600 vor allem zivilen Opfern. Auch für Israels Generalstabschef Halevi ist eine militärische Auseinandersetzung mit der Hisbollah in der israelisch-libanesischen Grenzregion ein mögliches Szenario. "Eine Offensive an der Nordfront wird für die Bevölkerung schwierig. Wir werden in der Lage sein, damit zurechtzukommen, aber es wird schwierig. Aber für den Libanon wird es siebenmal so schwer sein und für die Hisbollah umso mehr."

Ungewöhnlich deutliche Worte der Militärs, die sicher auch den Zweck haben, der Hisbollah die israelische Entschlossenheit zu demonstrieren. Dennoch rätseln viele, wie wahrscheinlich eine militärische Auseinandersetzung wirklich ist.

"Die Dinge haben sich verschlechtert"

Talya Lankri, die ehemalige Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsstabs beim israelischen Militär, glaubt bei einer Diskussion im TV-Sender Channel 12 nicht, dass es sich nur um verbale Scharmützel handelt. "Wenn sich sowohl der Generalstabschef als auch der Chef des Militärgeheimdienstes und der Verteidigungsminister auf einer Konferenz derart äußern, dann haben sich die Dinge zweifelsohne verschlechtert. Man könnte es auch so deuten, dass wir uns möglicherweise an einen Konflikt annähern."

Es ist keine einfache Situation für Israel. Die Bedrohungslage für das kleine Land hat sich in den vergangenen Monaten verschärft. Hamas, Hisbollah und der Iran im Hintergrund bauen ein Terrornetz auf, das Israel gleich an fünf Fronten treffen könnte. Die Fronten sind der Gazastreifen, Ostjerusalem, das Westjordanland, die arabischen Israelis und der Südlibanon. Die letztere Front dürfte aufgrund der Feuerkraft der Hisbollah-Miliz für Israel die gefährlichste sein. Klar ist aber auch: Israel weiß um diese Gefahr.

 

Julio Segador, ARD Tel-Aviv, tagesschau, 24.05.2023 09:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. Mai 2023 um 05:19 Uhr.