
Griechenland Mit "echten" gegen "unechte" Flüchtlinge
Griechenland agiert beim Umgang mit Ukraine-Flüchtlingen schnell und unbürokratisch. Doch die Regierung nutzt die Fluchtbewegung auch, um zwischen "echten" und "unechten" Flüchtlingen zu unterscheiden.
Dass sich die Prioritäten des griechischen Migrationsministeriums geändert haben, lässt sich allein schon auf der Homepage ablesen: Zentral auf Seite befindet sich eine Liste, die zu den einzelnen Service-Bereichen für Migranten führt.
Bis vor kurzem stand an oberster Stelle: "I want to return to my country" - mit allen Informationen, wie man am besten wieder in sein Herkunftsland zurückkehrt. Zum besseren Verständnis ist ein kleines Flugzeugsymbol vorangestellt.
Plötzlich eine andere Gestaltung
Seit einigen Wochen aber hat sich das Erscheinungsbild der Website geändert. Die ersten beiden Punkte sind nun den Geflüchteten aus der Ukraine gewidmet: Organisatorisches und Spendenmöglichkeiten. Zum besseren Verständnis hier kleine Herzchen in blau und gelb, den Farben der ukrainischen Flagge. Ein Symbol der neuen Herzlichkeit der griechischen Regierung.
Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis kündigte bereits Ende Februar im griechischen Fernsehen an, wenn Griechenland "mehrere Menschen aufnehmen" müsse, sei man bereit, "dies in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zu tun".
Überraschend unbürokratisch
Mittlerweile sind mehr als 14.000 ukrainische Geflüchtete in Griechenland angekommen. Anfang der Woche ging eine digitale Plattform online, über die sich die Menschen registrieren können. Auf Basis der eingegebenen Daten erstellen die Behörden Aufenthaltsgenehmigungen, Sozialversicherungs- und Steuernummer, die ab dem 4. April abgeholt werden können - schnell, einfach, unbürokratisch.
Geflüchtete aus anderen Ländern können auf diesen Service nicht zugreifen, im Gegenteil: Menschen aus afrikanischen und asiatischen Ländern müssen oft monatelang auf einen Skype-Termin bei den Behörden warten, um ihr Asylverfahren zu beginnen.
Migrationsminister Mitarakis sieht keinen Widerspruch darin, dass Menschen aus der Ukraine bevorzugt behandelt werden, denn: "Sie sind Kriegsflüchtlinge. Das sind die echten Flüchtlinge."
UN erinnert an das Völkerrecht
Dem widerspricht Stella Nanou vom UN-Flüchtlingshilfswerk in Griechenland. Sie hält die Interpretation, "dass nur Menschen, die aus einem Kriegsgebiet oder vor anderen Katastrophen fliehen, Flüchtlinge sind", für unzureichend und wendet ein: "Vor dem Völkerrecht ist die Antwort auf die Frage, wer ein Flüchtling ist, etwas komplizierter."
Mit internationalem Recht ist vor allem die Genfer Flüchtlingskonvention gemeint. Demnach ist ein Flüchtling "eine Person, die die begründete Angst hat, in ihrem Herkunftsland wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung verfolgt zu werden", erläutert Nanou.
Eine Frage des Kalküls?
Alle diese Gründe sind gleichwertig und international bekannt und anerkannt. Dass der griechische Migrationsminister dennoch von "echten" versus "falschen" Flüchtlingen spricht, ist politisches Kalkül und folgt einer Strategie, die die 2019 ins Amt gewählte konservative Regierung von Anfang an verfolgt habe, sagt Angeliki Dimitriadi vom Berliner Think Tank Global Public Policy Institute.
Seither habe sich der öffentliche Diskurs verschoben: "Dabei geht es vor allem darum, neu zu definieren, wer als Flüchtling gilt. Die Ankunft der Ukrainer passte gut in diesen Diskurs, in dem sie als, in Anführungszeichen, 'echte' Flüchtlinge bezeichnet werden."

Eine erste Aufnahmestelle für ukrainische Flüchtlinge in Griechenland war schnell geschaffen - nahe der Grenze zu Bulgarien.
Es kamen immer weniger Flüchtlinge
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 kamen laut UN-Flüchtlingshilfswerk rund eine Million Menschen in Griechenland an. 2019 waren es immerhin noch 75.000, im vergangenen Jahr nur noch gut 9000.
Sowohl Migrationsminister Notis Mitarakis als auch Premierminister Kyriakos Mitsotakis haben diesen deutlich Rückgang regelmäßig als großen Erfolg ihrer Migrationspolitik gefeiert. Denn hier ist das übergeordnete Ziel der aktuellen Regierung, mit allen Mitteln die Zahl der ankommenden Migranten so weit wie möglich zu reduzieren.
Kein Widerspruch
Auch wenn es zunächst absurd klingt - dass die Regierung nun die ukrainischen Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt, spielt dem in die Hände. Angeliki Dimitriadi beschreibt es so:
Indem man eine Gruppe von Menschen identifiziert und sagt, das sind die echten Flüchtlinge, dann bedeutet das automatisch, dass alle anderen es nicht sind. Das schafft also zwei Ebenen, so etwas wie zwei Klassen von Migranten in Griechenland.
Dazu gehöre auch die ständige Betonung, dass sich der Krieg direkt vor der europäischen Haustür abspiele. Es sei eben politisch viel einfacher zu begründen, dass man Menschen willkommen heißen muss, "weil jeden Tag auf unseren Bildschirmen zu sehen ist, dass direkt nebenan Krieg stattfindet", so Dimitriadi. Und: "Viel schwieriger ist das, wenn der Krieg geografisch weit weg ist. Das hat dann durchaus auch mit Rassismus zu tun."

Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung in Griechenland ist groß - hier können sich Geflüchtete in einem Kloster bei Thessaloniki Waren des täglichen Bedarfs aussuchen.
Mit einem zweiten "2015" ist nicht zu rechnen
Doch die Ungleichbehandlung von Geflüchteten allein mit Rassismus zu begründen, würde der Situation auch nicht gerecht, so Dimitriadi. Denn die griechische Regierung weiß, dass das Land eine Situation wie beispielsweise 2015 erst einmal nicht zu befürchten hat.
Zum einen kommen deutlich weniger Menschen, weil Griechenland diesmal nicht Erstaufnahmeland ist, wie beispielsweise Polen. Zum anderen gibt es in Griechenland eine recht große ukrainische Community, sodass ein Großteil der Geflüchteten zunächst bei Freunden oder Verwandten unterkommt.
Und wenn sie doch bleiben?
Problematisch könne es allerdings werden, wenn sich die Mehrheit der Menschen - entgegen der Erwartung der Regierung - doch dazu entscheide, dauerhaft in Griechenland zu bleiben, sagt Dimitriadi. Denn Griechenland habe kein wirklich funktionierendes System zur Integration.
Das betreffe alle Migranten: "Die Bürokratie ist selbst für Griechen manchmal komplex und schwierig, erst recht für diejenigen, die die Sprache nicht sprechen."
Nicht mehr so unvorbereitet
Aber immerhin: Verglichen mit 2015, als Griechenland plötzlich unvorbereitet mit Hunderttausenden Flüchtlingen fertig werden musste und es keinerlei Strukturen gab, geschweige denn ein Migrationsministerium, hat sich mittlerweile einiges getan.
Der Ukraine-Krieg zeigt: Griechenland ist nun in der Lage, schnell und unbürokratisch Menschen aufzunehmen. Doch ob und wie das am Ende geschieht, hängt allein vom politischen Willen ab.