
Sowjetischer Ex-Präsident Tausende nehmen Abschied von Gorbatschow
In Moskau haben Tausende Menschen Abschied von Michail Gorbatschow genommen. Vor dem Gebäude, in dem der Sarg aufgebahrt war, bildete sich eine Schlange. Auch Ungarns Ministerpräsident Orban nahm an der Trauerfeier teil.
Mehrere tausend Menschen haben in Moskau Abschied von dem ehemaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow genommen. Die Trauernden gingen am offenen Sarg vorbei, der von Ehrenwachen flankiert wurde, und legten Blumen nieder. Gorbatschows Tochter Irina und seine beiden Enkeltöchter saßen neben dem Sarg, der im Haus der Gewerkschaften aufgebahrt war. Das Gebäude war offen zugänglich, eine lange Schlange bildete sich davor. Der Andrang war der Nachrichtenagentur AP zufolge so groß, dass der Zeitrahmen für den öffentlichen Abschied um eine Stunde verlängert wurde.
Die Trauerfeier für den Friedensnobelpreisträger fand ohne großen Pomp statt - und auch ohne Russlands Präsident Wladimir Putin. Der Kreml verwies zur Begründung auf dessen vollen Terminkalender. Putin hatte an Gorbatschows Sarg am Donnerstag Blumen niedergelegt, sich bekreuzigt und nach knapp 40 Sekunden wieder den Raum verlassen. Als Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" hatte Gorbatschow unter anderem Beschränkungen der Pressefreiheit und andere autoritäre Machtzüge unter Putin kritisiert.

Zahlreiche Menschen warteten vor dem Haus der Gewerkschaften nahe des Kreml, viele hatten Blumen dabei. Bild: EPA
Ein junger Mann sagte dem ARD-Studio Moskau, von der Abschiedszeremonie hätte er nichts mitbekommen, wenn er sich nicht selbst darüber informiert hätte. Einige vermuten, dass der russische Staat die Trauerfeier aus Absicht klein gehalten habe.
"Ich bin zufällig hierhergekommen, aber es ist wirklich wichtig", sagte ein anderer Mann. "Denn mir scheint, dass wir uns hier nicht nur von diesem Anführer verabschieden, sondern auch von der Hoffnung auf ein freies Russland. Diese Hoffnung ist verschwunden, aber nicht mit ihm, sondern wohl schon lange vor ihm."
Orban und Medwedew bei Trauerfeier
Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew nahm an der Trauerfeier teil und legte Blumen am Sarg nieder. Im Unterschied zu früheren Kremlchefs erhielt Gorbatschow kein Staatsbegräbnis. Ausländische Staats- und Regierungschefs wurden von russischer Seite nicht offiziell eingeladen. Viele westliche Staaten waren nur mit ihren Botschaftern vertreten, Deutschland wurde durch den Geschäftsträger der Botschaft repräsentiert.
Als einer von wenigen ausländischen Politikern war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban unter den Gästen. Orban pflegt trotz der westlichen Sanktionen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein gutes Verhältnis zu Präsident Wladimir Putin. Sein Sprecher sagte der staatlichen Nachrichtenagentur MTI, der Regierungschef wolle Gorbatschow "an der Bahre seine letzte Ehre erweisen".
In Deutschland geschätzt, in Russland kritisiert
Gorbatschow, der als wichtiger Wegbereiter der deutschen Einheit gilt, war am Dienstag im Alter von 91 Jahren gestorben. Er hatte die Sowjetunion als deren letzter Präsident von 1985 bis 1991 geführt. In Russland wird Gorbatschow von vielen für den Zerfall der Sowjetunion und damit für den Niedergang der Größe Russlands verantwortlich gemacht.
Entsprechend wurde für ihn kein nationaler Trauertag ausgerufen. Die bescheidene Zeremonie stand im Gegensatz zu dem feierlichen Staatsbegräbnis, das 2007 für Boris Jelzin stattfand, den ersten russischen Staatschef nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Er hatte Putin zu seinem bevorzugten Nachfolger ernannt und ihm durch seinen Rücktritt die Chance auf das Präsidentenamt verschafft.
Flaggen vor Kanzleramt auf halbmast
Vor allem in Deutschland genoss Gorbatschow jedoch Ansehen. Er gilt als einer der Väter der deutschen Einheit. In einigen Bundesländern wurde Trauerbeflaggung angeordnet. Vor dem Kanzleramt hingen Bundesflagge und Europafahne auf halbmast. Der Bundestag will am Mittwoch im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an den Verstorbenen erinnern.
Nach der Trauerfeier wurde Gorbatschow auf dem Moskauer Prominentenfriedhof am Neujungfrauenkloster und neben seiner Frau Raissa bestattet. Begleitet von der russischen Nationalhymne und Salutschüssen wurde der Sarg ins Grab hinab gelassen.