
Prozess zur Anschlagsserie in Paris Erwartungen, Emotionen und Provokationen
20 Angeklagte, davon 14, die tatsächlich im Gerichtssaal sitzen, und rund 1000 Journalisten aus aller Welt haben den Auftakt des Prozesses zur Pariser Anschlagsserie von 2015 mitverfolgt. Er gilt in Frankreich schon jetzt als historisch.
Der eigens für den Prozess gebaute Saal füllt sich nur langsam. Mehr als 500 Personen haben in dem Verhandlungsraum Platz, der mitten in die große Halle des Pariser Justizpalastes gesetzt wurde. Die weißen Holzbänke aber sind nur spärlich besetzt. Vorne dominiert das Schwarz der Anwaltsroben - mehr als 300 Anwälte sind anwesend. Sie vertreten einen großen Teil der fast 1800 Nebenkläger und Nebenklägerinnen - Überlebende und Angehörige der Opfer.
"Wir warten schon so lange auf diesen Prozess", sagt Dominique Kielemoes. Sie ist die Vize-Präsidentin der Opferorganisation 131115, ihr Sohn Victor wurde am 13. November auf der Terrasse der Bar La Belle Equipe getötet. Kielemoes ist eine der wenigen Nebenklägerinnen, die an diesem ersten Prozesstag im Gericht sind. Um den Hals trägt die zierliche Frau mit den weißen Haaren ein grünes Band - das Zeichen für die Journalisten, sie will reden:
Wir wissen, dass dieser Prozess unseren Schmerz nicht lindern wird. Aber wir haben trotzdem auf ihn gewartet. Wir sind ein demokratisches Land, und die Verbrecher müssen verurteilt werden. Der Prozess wird lange dauern, das wird uns Kraft kosten. Aber wir sind bereit.
Hauptangeklagter provoziert
Das sagt Kielemoes, nachdem bereits einer der Hauptangeklagten heftig provoziert hat. Sie wirkt angespannt und trotzdem ruhig, auch nachdem Salah Abdeslam, der einzige noch Lebende, der direkt an den Anschlägen beteiligt war, sich vor Gericht klar und deutlich zum sogenannten Islamischen Staat bekannt hat.
Die Kaltblütigkeit, mit der der 31-Jährige dem vorsitzenden Richter, Jean Louis Périès, die Auskunft über seine Personalien verweigerte und erst einmal erklärte, es gebe für ihn nur eine Instanz - Allah - lies viele im Saal erschauern. Und das, obwohl schon im Voraus klar war, Abdelslam wird provozieren, wenn er überhaupt redet.
Salah Abdeslams Sprengstoffweste wurde nicht aktiviert
"Es war absolut keine Überraschung", sagt Samia Maktouf, Anwältin der Nebenklage. "Was soll er auch anderes sagen? Er geht voll und ganz in dieser tödlichen Ideologie auf. Er erkennt dieses Gericht nicht an, genauso wenig wie die Gesetze dieser Republik. Das bestätigt er einmal mehr."

Salah Abdeslam bekannte sich zum Auftakt des Prozesses zum IS.
Auch während die Namen der Nebenkläger verlesen wurden, provozierte der Angeklagte weiter. Salah Abdeslam soll drei Selbstmordattentäter zum Fußballstadion Stade de France gefahren haben, seine eigene Sprengstoffweste wurde nicht aktiviert. Warum ist bis heute unklar. Seit 2016 sitzt er in Haft, erst in Belgien, dann in Frankreich.
Hoffnung auf Kooperation bereits erloschen
Er sei wahrscheinlich der einzige der anwesenden 14 Angeklagten, der wirklich neue Erkenntnisse bringen könnte, sagt Opfer-Anwältin Samia Maktouff. "Die Nebenkläger hatten eine kleine Hoffnung, dass er redet, dass er sich kooperativ zeigt und Antworten gibt, aber - und das haben wir jetzt ja schon gesehen - das wird nicht der Fall sein."
Die Angeklagten, die im Gerichtssaal bewacht von Polizisten in einer Glasbox sitzen, werden erst Anfang kommenden Jahres aussagen. Vorher will das Gericht über 300 Überlebende der Anschläge hören, außerdem Einsatzkräfte und Zeugen, die die schwersten Attentate, die Frankreich je erschüttert haben, miterleben mussten.
Der vorsitzende Richter macht zum Prozessauftakt deutlich, es handele sich um einen historischen Prozess, der bisher bekannte Dimensionen überschreite. Ein Prozess außerhalb jeglicher Norm. Mit einer Einschränkung: Es gehe auch in diesem Prozess darum, das Urteil erst zu sprechen, wenn alle Beteiligte gehört wurden - Überlebende, Hinterbliebene, die Anklage und auch die Verteidigung. Nur so, sagte der erfahrene Richter Jean-Louis Périès, könne die Justiz den Ansprüchen des Rechtsstaates würdevoll genügen.

Islamistische Extremisten griffen am Abend des 13. November 2015 in einer koordinierten Aktion zahlreiche Ziele in Frankreichs Hauptstadt Paris an. In der Konzerthalle Bataclan richteten sie während eines Auftritts der Band "Eagles of Death Metal" ein Massaker an und töteten 90 Menschen. Im Osten der Stadt beschossen sie Bars und Restaurants. Am Stade de France in Saint-Denis sprengten sich Selbstmordattentäter während des Fußball-Freundschaftsspiels zwischen Deutschland und Frankreich in die Luft. Es waren die bislang folgenschwersten Angriffe in Friedenszeiten für Frankreich. Insgesamt starben 130 Menschen.