Frau inspiziert Müll aus Fluss
Europamagazin

Unzureichende Kontrollen Ungeklärtes Abwasser verschmutzt britische Flüsse

Stand: 11.06.2022 13:49 Uhr

Großbritanniens Flüsse zählen zu den dreckigsten Europas. Seit Schwimmer nach einem Bad in der Themse krank wurden, verschickt die Behörde Warnungen. Aktivisten reicht das nicht.

An einem Seitenarm der Themse, Großbritanniens zweitlängstem, aber sicherlich berühmtesten Fluss, stehen Jo Sandelson und Claire Senior mit empörtem Gesichtsausdruck. Beide haben sich an diesem Morgen zum Schwimmen verabredet, das Handtuch ruht auf der Schulter. Zum Einsatz wird es allerdings nicht kommen: Vor den beiden fließt eine braune Brühe vorbei. "Eklig" sei das, sagt Jo. "Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen."

Ein Blick auf das Handy liefert den Grund. Der regionale Wasserversorger Thames Water hat ungereinigtes Abwasser in den Fluss eingeleitet. Seit vor ein paar Monaten Schwimmer nach dem Baden krank wurden, schickt die Wasserfirma Warnungen an die Bevölkerung, wenn sie dies macht. Sandelson und Senior sind nicht nur leidenschaftliche Schwimmer. Sie gehören auch zu einer Gruppe, die sich vorgenommen hat, den Abwasser-Einleitungen ein Ende zu bereiten.

Illegale Abwasser-Einleitungen verschmutzen Großbritanniens Flüsse

Sven Lohmann, ARD London, europamagazin

"Fäkalien, Chemikalien, Bakterien"

Ashley Smith ist Mitglied einer anderen Gruppe, hat aber dasselbe Ziel. Er war früher Polizist und nutzt nun als Rentner seine Erfahrung als Ermittler. An einem Bach, der irgendwann in die Themse mündet, macht er mit einer Unterwasserkamera Aufnahmen. Ganz in der Nähe liegt auch eine Kläranlage des Wasserversorgers Thames Water. Aus einem Rohr von dort sprudelt gereinigtes Wasser in den Fluss.

Direkt daneben zeigt Smith noch auf ein weiteres Rohr. Von dort würde von dem Wasserversorger von Zeit zu Zeit ungereinigtes, pures Abwasser eingeleitet: "Mit menschlichen Fäkalien, Chemikalien und Bakterien." Vor zwei Tagen sei das zuletzt passiert. Seine Unterwasser-Aufnahmen zeigen auch heute noch Spuren.

Im Vereinigten Königreich ist es Wasserfirmen in Ausnahmefällen erlaubt, Abwasser in die Flüsse zu spülen. Wenn die Becken und die Kanalisation voll sind; nach heftigen Regenfällen zum Beispiel. Aber eben nur in solchen Situationen. Laut Schätzungen geschah dies im Jahr 2020 landesweit mehr als 400.000 Mal. Das klingt etwas häufig für eine Ausnahme.

Wasserprobe aus verschmutztem Fluss

Aktivisten nehmen Wasserproben aus den verschmutzten Flüssen, lassen sie auswerten und schicken die Ergebnisse an Behörden - bislang mit geringem Erfolg.

Aktivisten dokumentieren illegale Aktivitäten

Smiths Gruppe hat umfangreiche Daten gesammelt, Angaben der Wasserfirmen mit eigenen Beobachtungen und Aufnahmen verglichen, überprüft, wann Ausnahmen genehmigt wurden und wann tatsächlich Abwasser in die Flüsse gespült wurde. "Wir haben eine Reihe an illegalen Aktivitäten festgestellt", sagt er. Dem Vorwurf, den er erhebt, schließen sich auch andere Gruppen an, die hinter dem Abwasser in Flüssen Profitgier vermuten.

Die Aufsichtsbehörde der Regierung kontrolliert die Gewässer kaum: Sie verlässt sich weitgehend auf die Angaben der Wasserversorger selbst. Sie habe aber eine Untersuchung eingeleitet, seit sie Kenntnis von möglichen illegalen Einleitungen habe, teilte die Behörde vor einem halben Jahr mit.

Smith und seine Gruppe fühlen sich daher nur bestätigt, dass sie die Kontrolle der Flüsse selbst in die Hand nehmen müssen, wenn sich etwas ändern soll. Die Flüsse in Großbritannien sind unter den dreckigsten in Europa. Offiziellen Angaben zufolge haben im Jahr 2020 nur 14 Prozent einen guten ökologischen Standard aufgewiesen.

Toilettenpapier im Flusswasser

Toilettenpapier, Kondome, Fettreste: Großbritanniens Flüsse sind stellenweise voller Unrat.

Bürger nehmen Wasserproben

Abwasser und auch Verschmutzungen der Landwirtschaft sind die Hauptgründe für den kritischen Zustand der Flüsse. An vielen Orten in Großbritannien haben sich Gruppen gebildet, die regelmäßig Proben nehmen, auswerten lassen und die Ergebnisse an die Behörde schicken. Das soll den Druck erhöhen. Zumal die Wasserversorger zwar mittlerweile Unregelmäßigkeiten einräumten. "Aber nur teilweise", sagt Smith. An der Themse hat er unlängst ein bis dahin unbekanntes Rohr entdeckt: drei Meter unter der Wasseroberfläche und daher vom Ufer aus nicht zu sehen.

Seine Unterwasserkamera zeigt hier wenig Appetitliches: Brocken von menschlichem Stuhlgang, Fettaugen, Feuchttücher. Auch ein Kondom schwimmt aus dem Rohr des Wasserversorgers heraus. "Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, ist es schlimmer als das Mal davor", sagt Ashley. Auf Anfrage teilt Thames Water mit, dass man alles unternehme, um Abwassereinleitungen zu minimieren. Und weiter: An der besagten Stelle würde aber seit einem Jahr kein unbehandeltes Wasser mehr eingeleitet.

Ashley Smith will seine Aufnahmen an die Behörden übergeben - auch wenn er fest damit rechnet, das anschließend nichts passiert. Die Regierung wolle keinen zu großen Druck auf die Firmen ausüben, damit die Wasserrechnungen für die Bevölkerung nicht steigen, vermutet er.

Der Trick mit dem Badestatus

Eine Modernisierung des Wassersystems, das aus der viktorianischen Zeit stammt, wäre ein extrem teures Unterfangen. Das Umweltministerium hat mittlerweile ein Milliardenpaket für den Ausbau der Infrastruktur angekündigt. Es könne allerdings 20 Jahre dauern, bis Verbesserungen eintreten, gab der zuständige Minister George Eustice kürzlich zu Protokoll.  

So lange wollen Sandelson und Claire Senior mit ihrer Gruppe nicht warten. Auch sie gehören zu den unzähligen Freiwilligen, die regelmäßig Proben nehmen und an die Behörden weiterleiten.

Person sammelt Müll aus dem Wasser

Stochern im Wasser: Trotz offensichtlicher Mängel bei der Wasserqualität handeln Londons Wasserwerke bislang nicht.

Da das aber nicht dazu geführt hat, dass sie nun bedenkenlos im Fluss schwimmen können, haben sie zu einem anderen Trick gegriffen: Für einen bestimmten Abschnitt haben sie einen offiziellen Badestatus beantragt - und mittlerweile auch bekommen. Dort müssen die Behörden nun die Qualität des Wassers regelmäßig überprüfen und können die Wasserfirmen mit Strafen belegen, wenn diese Verschmutzungen verursachen - eine Strategie, von der die Gruppe hofft, dass sie Schule macht.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag im Europamagazin - um 12.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das ARD-Europamagazin am 12. Juni 2022 um 12:45 Uhr.