Kroatische Polizei kundschaftet das Grenzgebiet zwischen Kroatien nach Bosnien-Herzegowina aus.
Exklusiv

Europarat Scharfe Kritik an Kroatiens Pushbacks

Stand: 03.12.2021 10:30 Uhr

Das Anti-Folter-Komitee des Europarates kritisiert die gewalttätigen Pushbacks von Asylsuchenden an der EU-Außengrenze. Es beruft sich auch auf zufällig gefundene Aufzeichnungen in einer kroatischen Grenzstation.

August 2020: Als die Inspekteure des Anti-Folter-Komitees (CPT) eine Polizeiwache im kroatischen Grenzort Korenica besuchen, stoßen sie in einem Notizbuch auf brisante Aufzeichnungen. Alleine im Zeitraum zwischen dem 25. Juli und 12. August 2020 seien von Polizisten der Wache 2373 Asylsuchende "abgefangen" oder "umgeleitet" worden, ist im Notizbuch zu lesen.

Das deckt sich nicht mit offiziellen Angaben der Wache - demnach seien im selben Zeitraum lediglich zehn ausländische Staatsbürger festgenommen worden. Die Asylsuchenden waren also offenbar inoffiziell über die "grüne Grenze" aus der EU gebracht worden.

Als den Polizisten auffällt, was die CPT-Delegation entdeckt hat, versuchen sie, den Inspekteuren das Notizbuch "gewaltsam abzunehmen", schreiben die Inspekteure.

"Glaubwürdige Berichte"

Der Vorfall ist Teil eines Berichts, den das Anti-Folter-Komitee jetzt veröffentlicht hat. Fünf Tage lang untersuchten Experten des Komitees im Sommer 2020 unangemeldet direkt an der EU Grenze, wie kroatische Behörden mit Flüchtenden umgehen, die meist ohne dafür gültige Papiere aus Bosnien und Herzegowina kommen. Der Bericht fällt deutlich aus. Die Delegation habe zahlreiche "glaubwürdige" und "überzeugende" Berichte über schwere Misshandlungen durch kroatische Polizisten festgestellt.

Diese hätten mit Schlagstöcken und anderen Gegenständen auf die Menschen eingeschlagen, oder sie mit gefesselten Händen in einen Grenzfluss gezwungen. Die Beamten fingen die Menschen demnach in Kroatien ab, fuhren sie teilweise stundenlang an die bosnische Grenze zurück und schoben aus der EU ab. Einen Asylantrag konnten die Menschen nicht stellen.

Sie berichten, dass Polizisten ihre Waffen direkt neben ihnen abgefeuert und sie nackt über die Grenze nach Bosnien geschickt hätten. Forensische Mediziner der Delegation hätten die befragten Menschen untersucht und festgestellt, dass ihre Verletzungen mit den Berichten über Misshandlungen durch Polizisten übereinstimmen.

"Operation Koridor"

Der Bericht des Anti-Folter-Komitees passt zu Recherchen des ARD-Studios Wien und weiterer Recherchepartner. Diese zeigen, wie maskierte kroatische Interventionspolizisten an der Grenze zu Bosnien Asylsuchende aus der EU prügeln. Die kroatischen Behörden nennen diese Operation "Koridor". Sowohl die Interventionspolizei als auch die "Operation Koridor" werden im jetzt vorliegenden Bericht ausdrücklich erwähnt.

Als Reaktion auf die ARD-Recherchen hatte Kroatiens Innenminister Davor Bozinovic drei der Polizisten vom Dienst suspendiert. Auf Aussagen von Insidern, dass die Pushbacks aus seinem Ministerium befohlen worden seien, ging er nie ein.

Der CPT-Bericht bringt Bozinovic nun zusätzlich in Bedrängnis. Denn er macht erneut klar, dass die Pushbacks systematisch geschehen - und es sich keinesfalls um individuelles Fehlverhalten Einzelner handelt. Es gebe offenbar einen "gut etablierten rechtswidrigen Modus Operandi für den Umgang mit Migranten". Die Regierung Plenkovic habe die vielen Verletzungen der Flüchtlinge nicht erklären können, heißt es im CPT-Bericht. Die Ergebnisse der Untersuchung seien sogar "abgetan" worden.

Im Bericht wird außerdem festgehalten, dass Kroatien über kein System zur Kontrolle und Bekämpfung von Polizeigewalt gegen Flüchtende verfügt. Mehr noch: Bei Bekanntwerden von Missständen würden gar keine oder ungenügende Ermittlungen eingeleitet.

Offizielle Berichte unerwünscht

Die Haltung der Regierung sorgt auch in den eigenen Reihen für Unruhe. Ein kroatischer Polizeisinsider berichtete dem ARD-Studio Wien und seinen Recherchepartnern Lighthouse Reports, Novosti, SRF und Spiegel, dass man ihm verboten habe, offizielle Berichte über die Festsetzung von Migranten anzufertigen. "Mein Chef wurde dann immer sehr ärgerlich", sagt der Mann, der aus Angst anonym bleiben möchte. Inoffizielle Notizbücher mit Details zu den Operationen gebe es jedoch in mehreren Polizeiwachen.

Ein weiterer Beamter bestätigt, dass das Innenministerium auf inoffiziellem Wege täglich über die Pushbacks unterrichtet werde.

Schengen-Beitritt gefährdet?

Dass nun nicht mehr nur Medien und NGOs die gewaltsamen Pushbacks anprangern, sondern auch der Europarat, ist für die Regierung in Zagreb ein Problem. Kroatien ist seit 2013 EU-Mitglied und will unbedingt in den Schengen-Raum. Bisher hatte kein Schengen-Land größere Einwände.

Die neue deutsche Bundesregierung könnte das anders sehen. Im Koalitionsvertrag warnt sie Kroatien indirekt: Bei der Erweiterung des Schengenraums wolle man ein "besonderes Augenmerk auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und humanitäre Standards legen".

Zufällige Veröffentlichung

Wohl auch deshalb hat Kroatien über Monate hin versucht, die Veröffentlichung des Berichts des Anti-Folter-Komitees zu verhindern. Nach den Regeln des Europarates hätte das Land der Veröffentlichung zustimmen müssen. In der EU eigentlich eigentlich eine Selbstverständlichkeit. In den vergangenen Jahren verhinderten nur autokratisch regierte Staaten wie die Türkei und Russland kritische Berichte.

Dass das Anti-Folter-Komitee den Bericht nun doch veröffentlicht, ist nur einer Unachtsamkeit geschuldet. Die Staatssekretärin des kroatischen Innenministeriums äußerte sich in einem Schreiben über die Untersuchung, das anschließen in kroatischen Medien zitiert wurde. Damit verstießt sie gegen die Regularien des Europarates - und ermöglichte dem Komitee die Veröffentlichung.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. Oktober 2021 um 02:55 Uhr.