Teilnehmer des Treffens zwischen der EU-Kommission und der Ukraine in Kiew. | via REUTERS

EU-Ukraine-Treffen Parallelwelten in Kiew

Stand: 03.02.2023 03:10 Uhr

Der Besuch der EU-Kommission ist in mehrerer Hinsicht ein Balanceakt. Während draußen der Krieg tobt, will das Team um Präsidentin von der Leyen der Selenskyj-Regierung drinnen Hoffnung machen - ohne aber zu viel zu versprechen.

Von Helga Schmidt, ARD-Studio Brüssel, zzt. Kiew

Parallelwelten in Kiew: Mitten in der ukrainischen Hauptstadt, wo es allein im Januar 18 Raketenexplosionen gegeben hat, tagt eine Besuchergruppe aus Brüssel. 15 Kommissare und die Kommissionspräsidentin verhandeln an einem riesigen ovalen Konferenztisch.

Helga Schmidt ARD-Studio Brüssel

Ihnen gegenüber sitzen die Fachminister der ukrainischen Regierung. Sie hören von den Vorzügen einer guten makroökonomischen Planung, von den Chancen der Umstellung auf erneuerbare Energien, Schwerpunkt Wasserstoff. Die Rede ist auch davon, dass die EU 35 Millionen LED-Leuchten liefern will.

LED-Leuchten sollen Alltag erleichtern

Die LED-Leuchten sind der Link zur Parallelwelt Krieg. Weil Stromleitungen monatelang systematisch zerstört wurden, ist Energie ein kostbares Gut. Viele Menschen verbringen viel Zeit im Dunkeln. Wenn es gelingt, stromsparende Lampen im ganzen Land zu verteilen, wäre das ein Fortschritt für die Menschen - einer, der ihren Alltag etwas erleichtern könnte.

"Es ist gut, wieder hier zu sein", sagt Ursula von der Leyen bei der Ankunft. Ihr vierter Besuch in Kiew sei ein besonderer: "Ich bin mit meinem Kommissions-Team gekommen". Noch etwas ist anders dieses Mal. Es wird weniger über Waffenlieferungen geredet, weniger über Winterhilfe und den täglichen Überlebenskampf. “Wir bereiten jetzt die Zukunft der Ukraine vor.”

Selenskyj will grünen Wiederaufbau

Die Präsidentin der EU-Kommission ist entschlossen, noch während des Krieges den Wiederaufbau der Ukraine zu organisieren. Die Menschen sollen fühlen, dass es eine Zeit nach dem Krieg gibt, eine bessere Zeit. Präsident Wolodymyr Selenskyj wird konkret. Die Ukraine soll “ein führendes Land beim Aufbau moderner, grüner Energie” werden.

Es ist wieder so ein Satz, der aus einer Parallelwelt zu kommen scheint. Selenskyj sagt ihn umgeben von Hunderten Sandsäcken, sie liegen überall aus Sicherheitsgründen in seinem Präsidentenpalast - auch vor dem prächtigen Stucksaal, in dem er zusammen mit "dear Ursula" ans Mikrofon geht. Seine Idee: Wenn schon die gesamte Infrastruktur wiederaufgebaut werden muss, kann man es auch gleich ökologisch machen.

Von der Leyens Balanceakt in Kiew

Immer wieder bei diesem Treffen zwischen der Brüsseler Kommission und der Kiewer Regierung treffen Wut über Putins Krieg und der unerschütterliche Wille zum Wiederaufbau aufeinander. Noch ist das eine Gleichung mit mehr als einer Unbekannten. Niemand weiß jetzt schon, was am Ende aufgebaut werden muss, weil weitere Zerstörungen bevorstehen. Alle gehen in Kiew von einer neuen russischen Offensive im Frühjahr aus.

Für Ursula von der Leyen wird der Kiew-Besuch ein Balanceakt. Sie weiß, welche Hoffnungen die Ukrainer auf die Europäische Union setzen. Es ist der verheißungsvolle Fluchtort aus dem düsteren Kriegsalltag. Aber sie sieht auch die Gefahr, dass die Hoffnungen enttäuscht werden könnten. im Europäischen Rat der 27 Staats- und Regierungschefs gibt es viele, die die Ukraine noch meilenweit von einer Mitgliedschaft entfernt sehen.

Keine Festlegung auf verbindliche Jahreszahlen

Ministerpräsident Denys Schmyhal sieht das ganz anders. "In zwei Jahren" schon könne die Ukraine die Bedingungen schaffen. Die Vorhersage, die schon vor einigen Wochen für Staunen in Brüssel gesorgt hatte, wiederholte der ukrainische Regierungschef in Kiew wieder. Kommissionschefin von der Leyen vermied es, sich auf Jahreszahlen festzulegen. Der Beitritt sei eben an klare Bedingungen geknüpft - und bis die erfüllt sind, könne von Land zu Land ganz unterschiedlich viel Zeit vergehen.

Tatsächlich ist die Ukraine seit dem Sommer erst Beitrittskandidat, und es haben auch noch gar keine Verhandlungen über den Eintritt in die Union begonnen. Allein dafür hat die EU sieben Voraussetzungen formuliert, sie sind eine Reaktion auf die grassierende Korruption im Land. Dabei geht es um die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter und die Art und Weise, wie sie ausgewählt werden, es geht um klare Regeln im Kampf gegen die Geldwäsche und, besonders wichtig, um ein Gesetz gegen den Einfluss der Oligarchen. Man möchte nicht, dass die EU-Fördermillionen in dunklen Kanälen verschwinden. Ein Ungarn reicht der Union.

Lob und Empfehlung an Selenskyj

Beweisen die jüngsten Korruptionsskandale nicht aber, dass das Land längst noch nicht beitrittsreif ist? Eher im Gegenteil, meint die Kommissionspräsidentin. Offensichtlich hätten die Anti-Korruptionsbehörden des Landes wirkungsvoll gearbeitet, sagt von der Leyen in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj und wertet das als eine positive Entwicklung. Dann richtet sie allerdings an Selenskyj auch die Empfehlung, "auf politischer Ebene so rasch zu reagieren, dass der Kampf gegen die Korruption greifbare Ergebnisse zeigt und weiter intensiviert wird".

Die freundliche Empfehlung dürfte einen aktuellen Grund haben. Noch niemals zuvor hat die EU einem Drittland, das wurde vorher betont, so viel Finanzhilfe geleistet wie der Ukraine. Allein in diesem Jahr sollen 18 Milliarden Euro Direkthilfen an die Regierung fließen. Es ist Geld, das helfen soll, die grundlegenden Staatsaufgaben abzusichern - und das möglichst nicht von Oligarchen und anderen Kriegsgewinnlern abgeschöpft werden soll.

Über dieses Thema berichteten Inforadio am 02. Februar 2023 u.a. um 09:45 Uhr und das ARD-Morgenmagazin am 03. Februar 2023 um 05:38 Uhr.