Einreisekontrolle an einem EU-Flughafen

Visavergabe an Russen Pauschaler Einreisestopp - geht das?

Stand: 18.08.2022 19:31 Uhr

Estland hat Fakten geschaffen - russische Staatsbürger dürfen nicht mehr mit einem Schengen-Visum einreisen. Dafür gibt es Applaus aus der EU, doch auch kritische Stimmen. Und die Frage bleibt: Ist das mit EU-Recht vereinbar?

Estland macht ernst: Russische Staatsbürger dürfen nicht mehr mit einem von estnischen Behörden ausgestellten Schengen-Visum ins Land einreisen - also mit einem Visum, das eigentlich Einreise und Aufenthalt in fast allen EU-Staaten und einigen anderen europäischen Ländern erlaubt. Estland hatte schon länger keine neuen Visa und Aufenthaltsgenehmigungen mehr an Russen ausgegeben.

Bisher war es russischen Staatsbürgern aber noch möglich, mit einem schon erteilten Visum per Bus oder Auto über die estnische Grenze in den Schengen-Raum zu kommen. Damit ist jetzt Schluss.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, erklärt Estlands Außenminister Urmas Reinsalu auf Twitter und weiter: "Wir werden nicht zulassen, dass sich russische Touristen in der EU vergnügen, während in der Ukraine täglich Menschen massakriert werden."

Finnen und Balten für schärfere Regeln

Fast wortgleich hatte Anfang der Woche die finnische Regierungschefin Sanna Marin ihre Forderung nach schärferen Einreisebestimmungen für Russen begründet. Auch Lettland und Dänemark machen entsprechend Druck.

Dass vor allem baltische Staaten und Finnland Konsequenzen für russische Touristen verlangen, hat unter anderem geografische Gründe: Weil die EU wegen des Ukraine-Kriegs den Flugverkehr nach Russland eingestellt hat, kommen Russen über den Land- oder Seeweg - in eben diese EU-Staaten.

Auch Tschechiens Regierung ist der Ansicht, dass der russische Angriffskrieg Folgen nicht nur für Oligarchen, sondern für die breitere russische Bevölkerung haben sollte. Nach Ansicht Prags wäre ein Visastopp für normale russische Bürger ein klares Signal an Russlands Gesellschaft, dass eine militante Politik Konsequenzen hat.

Brüssel fordert Einzelfallprüfung

Die EU-Kommission betont, dass Europa schnell gehandelt und schon einen Tag nach der russischen Invasion das Abkommen über Visa-Erleichterungen mit Russland teilweise ausgesetzt habe. Im Mai verschickte die Kommission Leitlinien an die 27 Regierungen.

Demnach müssen die Mitgliedstaaten jeden Visumsantrag individuell prüfen. Sie können ein Visum verweigern, wenn durch die Einreise die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in ihren Ländern beeinträchtigt werden.

Nach den Worten einer Kommissionssprecherin ist dabei wichtig, dass die Mitgliedsstaaten internationale Verpflichtungen respektieren und sicherstellen, dass Familienmitglieder, Journalisten oder Dissidenten weiter einreisen können. Ein grundsätzliches Verbot von Touristenvisa ist also nicht möglich.

Auch Estland kann demnach nicht alle schon an Russen erteilten Visa zurückziehen, sondern muss jeden Einzelfall untersuchen.

Widerstand aus Berlin

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Anfang des Monats die Debatte befeuert mit seiner Forderung nach einem kompletten Vergabeverbot für Touristenvisa an Russen. Bisher melden sich in der EU vor allem Selenskyjs Unterstützer zu Wort.

Eine Gegenstimme kommt aus Berlin von Bundeskanzler Olaf Scholz: "Das ist nicht der Krieg des russischen Volkes", erklärte Scholz am Montag, "das ist Putins Krieg und wir müssen da sehr klar bleiben".

Während die estnische Regierung die Verschärfung ihrer Visaregeln damit begründet, dass Reisefreiheit für die meisten Russen den Russland-Sanktionen zuwiderlaufe, argumentiert der Bundeskanzler genau andersherum: Ein Einreiseverbot für alle russischen Staatsbürger würde laut Scholz die Wirkung der Strafmaßnahmen abschwächen für die, auf die sie eigentlich abzielen - nämlich Oligarchen und Unterstützer des Netzwerkes um den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Die Regierung Tschechiens, die derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, will die Frage eines EU-weiten Visumverbots für Russen auf die Tagesordnung des Außenministertreffens Ende des Monats setzen.

Martha Wilczynski, Martha Wilczynski, ARD Moskau, 19.08.2022 05:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 18. August 2022 um 12:22 Uhr und um 12:44 Uhr.