
EU-Gipfel streitet über Gaspreisdeckel Bemühte Einigkeit
Der Kanzler muss sich beim EU-Gipfel wegen seines Kurses in der Energiekrise viel Kritik anhören. Am Ende einigen sich die Staats- und Regierungschefs auf ein gemeinsames Vorgehen. Doch es bleibt viel Spielraum für Interpretationen.
Zehn Stunden lang dauerten die Verhandlungen zwischen den 27 Staaten am ersten Gipfeltag. Das ist durchaus mehr als üblich. Aber es gibt nicht wenige, die den Gesprächsmarathon für den Ausdruck einer kaum übersehbaren atmosphärischen Störung halten, die über diesem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zu hängen schien: Misstöne ausgerechnet zwischen den zwei Staaten, die bisher immer das Zugpferd der Europäischen Union gewesen sind, sich zumindest dafür gehalten haben.
Doch jetzt, in der Energiekrise, mit der nach wie vor offenen Frage, wie viel und für wen es in der nächsten Zeit noch Gas geben wird und zu welchem Preis, in dieser Krise von völlig ungeahnter Wucht sind die Unterschiede zwischen Berlin und Paris, zwischen Olaf Scholz und Emmanuel Macron, bei Gipfelbeginn offen zutage getreten.
Situation bleibt verfahren
"Niemand möchte ja Beschlüsse fassen, wo es hinterher theoretisch gut ist, aber es kein Gas gibt - das muss auch miteinander hingekriegt werden", hatte Olaf Scholz zum Auftakt des Brüsseler Treffens gesagt. Es war eine deutliche Absage an das, was andere EU-Staaten verlangen: Einen Gaspreisdeckel für Erdgaseinfuhren, aber auch für solche in der flüssigen Variante per Schiff - LNG-Importe.
Spanien möchte so einen Deckel, auch Italien, Belgien, baltische Staaten - und eben Frankreich. Daran hat sich auch nach dem ersten Gipfeltag nichts geändert. An der deutschen Position allerdings auch nicht.
Berlin fürchtet für den Fall, dass die EU tatsächlich einen solchen Preisdeckel beschließen sollte, am Ende deutlich zurückgehende Gasimporte nach Europa - was den Preis weiter in die Höhe treiben würde. Aber gerade dagegen helfe ja der Deckel, argumentiert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und hat - ein wenig verklausuliert zwar, aber dennoch klar und deutlich - Deutschland europapolitisch in den Senkel gestellt.
Trotz allem gibt es heute eine große Einigkeit zwischen den europäischen Staaten, und ich werde weiter mit allen Regierungen intensiv zusammenarbeiten. Es bringt auch niemandem in Europa etwas, wenn Deutschland sich isoliert.
Auch Niederlande und Skandinavier skeptisch
So sagte es Macron, der dabei unerwähnt ließ, dass manche in der EU die deutsche Position durchaus unterstützen, allen voran die Niederlande, aber auch die Skandinavier. Also musste man bis tief in die Nacht verhandeln, um zu zeigen: Da ist kein tiefer Riss in der EU zwischen ihren zwei wichtigsten Protagonisten.
Über Deckel oder Nicht-Deckel, über zumindest teilweise gemeinsame Gaseinkäufe aller EU-Staaten, wie die Kommission sie vorgeschlagen hat, über Neuregelungen der komplexen Gas-Markt-Mechanismen. Und tatsächlich: Gegen halb drei in der Nacht trat ein gut gelaunter und keineswegs übernächtigter Emmanuel Macron vor die Journalisten in Brüssel und erklärte:
Unser wichtigstes Ziel ist die Reduktion der Gaspreise. Da geht es um Mechanismen und Preiskorridore und gemeinsame Handelsplattformen, um die Haushalte und Unternehmen zu schützen. Das ist unser wichtigstes Ziel.
Grundsatzeinigung als Startschuss
Dem sei man nun erheblich näher, meint Frankreichs Präsident. Und für seine Verhältnisse kaum minder guter Dinge zeigt sich der deutsche Bundeskanzler:
Wir haben uns zusammengerauft in Europa. Und das ist ein gutes Zeichen der Solidarität. Wir wissen, dass der russische Angriffskrieg viele Folgen in der Welt hat und in Europa, und das macht sich natürlich besonders bemerkbar in den hohen Energiepreisen.
Das Wort von einer Grundsatzeinigung machte die Runde. Man will jetzt konkrete Maßnahmen zur Eindämmung der hohen Gas- und Strompreise ausarbeiten, genau sollen das schon in der kommenden Woche die Energieminister tun.
Scholz und Macron beschwören Einigkeit
Verständigt habe man sich auf gemeinsame Gaseinkäufe, man wolle ebenso erhebliche Preisausschläge auf dem Gasmarkt eindämmen. Mit einem Gaspreisdeckel, so sagt es zumindest Olaf Scholz, bleibe es aber schwierig. Da gebe es noch viele Zweifel. Und die deutsch-französischen Differenzen? Gebe es in der Form gar nicht, meinte Macron in der Nacht.
Man habe nicht immer die gleichen Positionen, das sei normal. Aber man arbeite mit Deutschland weiter eng zusammen, das zeige auch das geplante Treffen mit Scholz kommende Woche.
Es gibt noch viel Redebedarf
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von erheblichen Fortschritten. Europa bleibe in dieser Krise zusammen. Man habe intensive, aber konstruktive Diskussionen gehabt - mit dem ausdrücklichen Willen, eine gemeinsame Herangehensweise zu finden.
So oder so: Es wird noch viel zu reden und zu verhandeln geben, wenn es um die Details geht. Das gilt auch für neue gemeinsame europäische Investitionen, vielleicht schuldenfinanziert, wie die südeuropäische Länder verlangen. Noch sei Geld da in diversen EU-Programmen, auf das man zugreifen könne, heißt es. Vielleicht brauche es aber auch mehr.
Wenn es ein wichtiges Signal gibt nach dieser ersten Gipfelnacht: Es gibt kein Zerwürfnis zwischen Deutschland und Frankreich. Und es gibt den Willen aller EU-Staaten, gemeinsamen weiterzumachen in dieser Krise. Nur einen großen Masterplan zum Senken der Energiepreise, den gibt es nach wie vor nicht.