Ostsee-Fähre Estonia

Ungeklärtes Schiffsunglück Doku zeigt Loch im Rumpf der "Estonia"

Stand: 28.09.2020 19:29 Uhr

Eine neue Doku über den Untergang der "Estonia" liefert erstmals Beweise für ein Loch im Rumpf des Schiffes - die zu einer neuen Untersuchung führen könnten. Die Macher riskierten dafür eine Klage.

Es war gegen 1.30 Uhr in der Nacht, als vor 26 Jahren der Notruf der Ostseefähre "Estonia" ertönte. Das Schiff lag bei schwerem Sturm vor der Südküste Finnlands - etwa auf halber Strecke zwischen der estnischen Hauptstadt Tallinn und Stockholm. Es bekam Schlagseite, kenterte und sank in weniger als einer Stunde. 852 Passagiere und Besatzungsmitglieder ertranken, nur 137 überlebten.

Fest steht, dass die Bugklappe abgerissen und viel Wasser in kurzer Zeit ins Schiff eingedrungen war. Doch die genaue Unglücksursache ist bis heute unbekannt. Es gab Untersuchungen und Prozesse, aber am Ende nur Theorien: Konstruktionsfehler, die Bugklappe sei zu schwach gewesen, vielleicht auch schlecht gewartet. Oder sogar Sabotage, illegale Militärtransporte an Bord, Spione, ein in den Rumpf gesprengtes Loch unter der Wasserlinie.

Hinweise auf ein solches Loch gibt es schon lange, aber jetzt gibt es zum ersten Mal auch Bilder davon. Aufgenommen von einem Unterwasserroboter, der trotz des Tauchverbotes zum Wrack herabgelassen worden war. Gezeigt werden sie in einer neuen Dokumentation der Streaming-Plattform "Dplay".

Störung der Totenruhe

Das Wrack hat sich in den vergangenen Jahren auf dem weichen Grund der Ostsee offenbar bewegt, so dass inzwischen mehr von der Steuerbordseite zu sehen ist. Auch die etwa vier Meter hohe und an der größten Stelle 1,20 Meter breite Öffnung aus teils eingedrücktem, teils geborstenem Metall. Fachleute meinen, dass es beim Aufprall des Schiffes auf den Grund passiert sein könnte oder vorher bei einer Kollision.

Lars Angström, ehemaliger Reichstagsabgeordneter in Schweden, hat die "Bugklappen-Theorie" schon früh angezweifelt. "Berechnungen ergeben, dass dieses Loch durch etwas mit 3000 Tonnen Gewicht und einer Fahrt von vier Knoten verursacht worden sein könnte, alternativ 1000 Tonnen und anderthalb Knoten", sagt er. Ein Container könne es daher nicht gewesen sein, der wiege nicht mehr als 30 Tonnen. "Es muss ein Schiff gewesen sein", meint Angström und folgert: "Ein ziviles Schiff hätte keinen Grund, das geheim zu halten, also deutet alles auf ein Kriegsschiff hin."

Die Estonia ist eine Grabstätte, deshalb das Tauchverbot. Zwei Mitarbeiter aus dem Doku-Team sind Berichten zufolge wegen Störung der Totenruhe angeklagt. Doch die Streaming-Plattform verteidigt ihren Einsatz, beruft sich auf die Notwendigkeit freier journalistischer Recherche und auf die Hoffnung von Überlebenden und Hinterbliebenen auf Klarheit.

Estland will neue Untersuchung leiten

Wie ist die "Estonia" wirklich gesunken, warum mussten so viele Menschen sterben? Diese Frage stellt sich der damalige Passagier Anders Eriksson seit seiner Rettung vor 26 Jahren.
"Als ich die Bilder gesehen habe, war ich erleichtert", sagte er dem schwedischen Sender TV4. Sie seien der Beweis, dass es dieses Loch gebe. "Jetzt liegen die Fakten auf dem Tisch. Es muss neu untersucht werden und zwar korrekt", fordert Eriksson.

Auch Estlands Premierminister Jüri Ratas fordert eine solche neue Untersuchung des Wracks, wie der estnische Rundfunk berichtet. Er habe mit den Regierungen Schwedens und Finnlands gesprochen. Diese seien damit einverstanden, dass Estland eine "mögliche" neue Untersuchung leiten werde.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 28. September 2020 um 18:15 Uhr in den Nachrichten.