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Analyse

Streit um Verbrenner-Aus Deutschland will noch nicht auf Grün schalten

Stand: 16.03.2023 02:04 Uhr

Wann wird das größte Mitglied der EU seine finale Zustimmung zum ausgehandelten Verbrenner-Aus geben? Der Bundeskanzler verteidigt das vorläufige Nein. Das sorgt in manchen Hauptstädten für wenig Begeisterung.

Eine Analyse von Christian Feld, ARD Berlin

Zum EU-Gipfel in Brüssel reist der Bundeskanzler erst in einer Woche. Die Regierungserklärung dazu steht heute schon auf der Tagesordnung. Mit der Ukraine und der europäischen Wirtschaft wollen sich die Staats- und Regierungschefs befassen. Doch die Bundesregierung hat in den letzten Wochen mit einem anderen Thema in der EU für Unruhe gesorgt, um es sehr vorsichtig auszudrücken.

Auf den ersten Blick geht es um die Frage, welche Fahrzeuge mit welchem Antrieb nach dem Jahr 2035 noch in der EU neu zugelassen werden dürfen. Doch längst geht es auch darum, wie die Bundesregierung in Brüssel mit einem zu Ende verhandelten Gesetzesvorhaben umgeht? Zur Diskussion steht, wie Deutschland für seine Interessen kämpfen kann, ohne dabei anderen Mitgliedsstaaten zu nachhaltig vor den Kopf zu stoßen.

"Wer keine Position hat, spielt nicht mit"

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick in einen vertraulichen Bericht, den der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß Anfang Januar aus Brüssel an eine Vielzahl von Empfängern in der Bundesregierung geschickt hat. Das achtseitige Dokument liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor, zuerst hatte der Mediendienst Europe.Table darüber berichtet.

Der deutsche Botschafter beschreibt, worauf es ankomme, um in der großen, unübersichtlichen EU-Kompromissmaschine erfolgreich zu sein: "Wer keine Position hat, spielt nicht mit." Deshalb gelte es beispielsweise, sich frühzeitig innerhalb der Bundesregierung zu positionieren, frühzeitig in Brüssel Gleichgesinnte zu finden, um mitgestalten zu können:

Wo uns dies nicht gelingt, etwa weil wir kurz vor Abschluss von Dossiers unsere Haltung ändern, urplötzlich Sonderregelungen fordern oder widersprüchliche Signale senden, ernten wir Kopfschütteln und büßen europapolitische Reputation ein, die unsere Stellung in Brüssel weit über das jeweilige Dossier hinaus beschädigt.

Die Erfahrungen und Ratschläge sind in sachlichem Ton aufgeschrieben. Und doch drängt sich der Eindruck auf, dass der EU-Botschafter bei den Handelnden in Berlin Luft nach oben sieht.

Prozess hätte reine Formsache sein können

Damit zurück zum aktuellen Streitfall, für den in diesen Tagen intensiv nach einer Lösung gesucht wird. Im Mittelpunkt: die EU-Kommission sowie die Bundesregierung, vor allem das FDP-geführte Verkehrsministerium. Fast zwei Jahre lang war in der EU verhandelt worden, welche Fahrzeuge mit welchem Antrieb nach 2035 noch neu verkauft werden dürfen. Stichwort: Verbrenner-Aus. Vor allem die FDP hatte immer wieder darauf gepocht, dass neue Verbrenner-Fahrzeuge möglich sein sollen, wenn sie mit sogenannten E-Fuels fahren.

Am 16. November twitterte Sven Giegold, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck, über die - wie es schien - finale Einigung: "Bäm! … Deutschland hat im Rat der Ständigen Vertreter zugestimmt." Der weitere Prozess hätte nun reine Formsache sein können, ist er aber nicht. Die Bundesregierung will der Gesetzgebung noch nicht das finale grüne Licht geben. Das Problem liegt im sogenannten Erwägungsgrund 9a. Darin ist festgehalten, dass die EU-Kommission prüfen soll, inwieweit die E-Fuels eine Ausnahme vom Verbrenner-Verbot bekommen sollen.

Scholz: "Rechne bald mit einem Ergebnis"

Und hier gehen die Auffassungen auseinander: Im Text ist nicht schriftlich fixiert, wann die Kommission ihre Prüfung abzuschließen hat. Staatssekretär Giegold spricht von einem "nicht rechtsverbindlichen Erwägungsgrund". Verkehrsminister Wissing dagegen pocht auf einen Vorschlag für die E-Fuels. Am Montag sagte er in Straßburg: "Solange diese Frage nicht beantwortet ist, kann es keine abschließende Zustimmung geben."

Unterstützung kommt vom Bundeskanzler. Zu einem konkreten Vorschlag habe sich die EU-Kommission "verpflichtet", und er ergänzt: "Das ist keine unlösbare Aufgabe, ist auch nicht schwer. Deshalb rechne ich auch bald mit einem Ergebnis."

Deutschland nicht allein in seiner Haltung

Dem Vernehmen nach hat die Kommission bereits mindestens einen Vorschlag gemacht, der aber noch nicht zum Ziel, zur gesichtswahrenden Lösung für alle Beteiligten geführt hat. Es ist nicht Deutschland allein, das sich momentan gegen das geplante Verbrenner-Aus sperrt. Am Montag hat sich in Straßburg eine Gruppe von Mitgliedstaaten getroffen, der unter anderem Italien, Polen, Tschechien und Österreich angehören.

Und doch wird das deutsche Agieren ganz besonders beobachtet. Welche Folgen hat es, wenn der Eindruck entsteht, die Bundesregierung blockiere einen zu Ende verhandelten Kompromiss? Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung sagt: "Als größtes EU-Land kann und darf sich Deutschland nicht Hintertüren offenhalten." Er befürchtet: "Es wird leider egoistische Nachahmer geben."

Angesprochen auf Unmut in anderen EU-Staaten über Deutschland, sagt der Bundeskanzler, entsprechende Berichterstattung könne er nicht bestätigen. Das schließt nicht aus, dass in Brüssel oder anderen EU-Hauptstädten auch andere Einschätzungen zu hören sind.

Helga Schmidt, Helga Schmidt, ARD Brüssel, 16.03.2023 21:44 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 16. März 2023 um 09:08 Uhr.